Kritik zu Blond: Darum ist der Netflix-Hit kein Skandalfilm

Einer der meistdiskutierten Filme der letzten Wochen ist auf Netflix erschienen. In Blond geht es um eine Ikone des Hollywood-Kinos: Marilyn Monroe. Was den Film so gut macht, erfahrt ihr in meiner Kritik!

Lesezeit: ca. 8 Minuten

Um was geht’s?

Neben der Mona Lisa gehört Marilyn Monroe sicherlich zu den meistverbreiteten Frauenfiguren der Weltgeschichte. Ihr rasanter Aufstieg zu einer Hollywood-Ikone, aber auch ihre Skandale und die dunklen Seiten des Showgeschäfts machten sie fast schon zu einer mystischen Figur. Die Pop-Art-Gemälde von Andy Warhold, die das Gesicht der Schauspielerin zeigen, gehören zu den bekanntesten Vertretern ihrer Art.

Mit Blond erscheint jetzt ein Film auf Netflix, der sich den weniger schönen Seiten von Marilyn Monroes Leben widmet. Er basiert auf einer Art Biopic, das aber Fiktion und Wirklichkeit vermischt und den gleichen Namen trägt wie der Film. Im Internet und unter Kritikern wird der Film mitunter heftig diskutiert, von Lobpreisungen bis hin zu Vorwürfen des „Torture-Porn“ ist alles dabei.

Und auch die hochkarätige Besetzung sorgt für Gesprächsstoff: Neben Hauptdarstellerin Ana de Armas (Knives Out, No Time to Die) spielen auch Adrien Brody (Grand Budapest Hotel, The French Dispatch) und Bobby Cannavale (Ant-Man, The Irishman) eine wichtige Rolle. Ob mich der sich über ganze drei Stunden ziehende Film überzeugt hat, erfahrt ihr in meiner Kritik. 


Aller Anfang ist langsam

Bevor wir das (keinesfalls nur) glamuröse Leben der Marilyn Monroe zu Gesicht bekommen, zeigt uns der Film erst einmal Ausschnitte aus der Kindheit und Jugend der Ikone. Geboren als Norma Jeane wächst die zukünftige Schauspielerin ohne Vater und später auch ohne Mutter auf. Aus dieser Tatsache macht der Film ein zentrales Erzählelement, dass aber kaum befriedigend zu Ende erzählt wird.

Nichtsdestotrotz kommen wir nochmal zum Anfang des Films zurück. Der ist wirklich sehr langsam erzählt, man braucht viel Sitzfleisch, um nicht schon nach den ersten 30 Minuten abzuschalten. Denn der Film lässt sich eine gefühlte Ewigkeit Zeit, um die tragische und von Schmerz geprägte Kindheit der jungen Marilyn zu sezieren.

Durch die ungewohnten Kameraeinstellungen und immer wieder wechselnden Farben erzeugt der Film schon hier eine gewisse Distanz zum Zuschauer, die später noch wichtig wird. Denn anders, als ihm viele Kritiker vorwerfen, erzählt der Film eben nicht die wahre Geschichte der Norma Jeane, sondern eine fiktive, ausgedachte Version.

Anzeige


Eine meisterhafte Inszenierung

Marilyn Monroe
Ana de Armas in Blond

Blond ist trotz der chronologischen Abfolge eben alles andere als ein klassisches Biopic – was der Regisseur mit seiner überbordenden Inszenierung samt Sprüngen zwischen Schwarz-Weiß und Farbe sowie verschiedenen Bildformaten selbst innerhalb einzelner Szenen unterstreicht.

Viele Kritiker werfen der Inszenierung des Films eine gewollte Eskalation, gar „Torture-Porn“ vor. Viele Kritiker blicken auf den Film aus einem Elefenbeinturm, weil sie denken, dass nichts davon „in echt“ passieren könnte. Das tut es aber. Gerade Hollywood hat in den letzten Jahren nicht gerade mit Skandallosigkeit geglänzt:

Allein die „Me Too“-Affäre zog sich wie ein langer Schatten über das sonst so glamouröse Leben der Schauspiel-Eliten. Und ließ tief blicken hinter eine Fassade, die Hollywood gerne für sich behalten hätte. Schauspieler können nun einmal eine Sache extrem gut: Schauspielern. Und so spielen sie auch der Öffentlichkeit eine Rolle vor, in die sie sich flüchten.

Blond schafft es da, eine unglaubliche Distanz zwischen der „echten“ Norma Jane und Marilyn Monroe aufzubauen. Durch die immer wieder brilliante Inzenierung erzeugt der Netflix-Film nicht nur im Zuschauer ein mulmiges Gefühl. Nein, auch die Protagonistin durchlebt ein Gefühlschaos, dass – durch größtenteils Männer – schamlos ausgenutzt wird.

Anzeige


„Das Ding auf der Leinwand bin nicht ich“

Blond Frontpage

Immer wieder erleben wir, wie angewidert Norma Jane von ihrem Doppelleben als Marilyn Monroe ist. Das mündet in einem Satz, der ihr Innenleben wohl sehr gut beschreibt. Gleich einem allwissenden Erzähler redet sie von sich selbst in der dritten Person, als sie meint, „das Ding auf der Leinwand“ sei nicht sie.

Dieses Doppelleben erdrückt sie regelrecht und immer mehr. Dominik verfolgt Monroe, als sie von den Abtreibungsärzten durch dunkle Krankenhausflure flieht. Nur um auf der anderen Seite einer Tür in ihrem brennenden Kinderzimmer anzukommen. Oder zeigt sie, wie sie von grölenden Männern, die sie alle als Sexobjekt missbrauchen, fast niedergeschrien wird.

Da wirkt Blond dann in manchen Momenten fast wie ein Horrorfilm. Nur das dieser Horrorfilm das Leben einer Ikone zeigt. Oder zumindest eine abgewandelte Version davon. Denn – und das will ich auch klar herausstellen – der neue Netflix-Streifen ist eben kein klassisches Biopic.

Das merken wir spätestens, als John F. Kennedy die Schauspielerin extra einfliegen lässt, damit sie ihm einen Blowjob geben kann. Während im Fernsehen ein Sci-Fi-Film voller grotesker Phallus-Symbole läuft und der Präsident gerade scheinbar mit einem FBI-Agenten telefoniert, um seine Sex-Storys zu kaschieren. Ob das so wirklich stattgefunden hat, ist nirgends verbrieft.

Anzeige


Zwischen Abtreibungen und Kultfilmen

Schaut man sich Blond an, wird man zahlreiche Monroe-Klassiker wie „Blondinen bevorzugt“ oder „Manche mögen’s heiß“ wohl auch nie mehr mit den gleichen Augen sehen. Beide Filme werden durch das Monroe-Biopic dekonstruiert, für beide Filme verliert Monroe eines ihrer Babys. Beide Filme zeigen eine dauerlächelnde Marilyn Monroe, während Norma Jane weint.

Diese Ambivalenz stellt auch der Soundtrack von Nick Cave und Warren Ellis heraus. Das ständige Stehen in der Öffentlichkeit, die omnipräsenten Blitzlichtgewitter. Am Ende verschwimmt alles: Norma Jane, Marilyn Monroe, die Männer in ihrem Leben, der Sex mit ihnen. Selbst die Abtreibungen, die Unterhaltungen mit ihren ungeborenen Kindern und sogar die vielen unbeantworteten Briefe ihres angeblichen Vaters.


Auch interessant:


Am Ende entlässt der Film die Zuschauer ebenso ratlos wie die Protagonistin. Viele werden sich nach diesem Film erstmal verloren fühlen, eine Einordnung suchen. Diese Orientierungslosigkeit sollte man aber dazu nutzen, sich Gedanken zu machen. Über Blond. Über Marilyn Monroe. Über das Schauspiel-Business. Über die Liebe und das Leben. Über falsche und echte Ikonen. Über die Filmkunst, die all das auf die Leinwand – oder wie hier – den heimischen Fernseher bringt.

Anzeige


Fazit & Bewertung

Blond wird sicherlich nicht jedem gefallen und auch in Zukunft einer dieser Filme sein, über die man sich bei ein, zwei Bier streiten kann und wird. Die einen hassen den Film ob seiner Obszönität oder der Inszenierung von Monroe als Opfer-Figur. Andere lieben die gnadenlose Ehrlichkeit, mit der der Film Hollywood und die menschliche Mystifizierung dekonstruiert.

Der Netflix-Film ist mit absoluter Sicherheit nichts für einen lauschigen Filmabend mit Freunden oder für den Feierabend nach einem gestressten Arbeitstag. Aber wenn man sich auf ihn einlässt, wird er einen verstören, aber auch nachdenklich machen. Ein Film, über den man nachdenken muss. In Zeiten von Marvel und Star Wars nicht mehr selbstverständlich.

[usr 4 text=false size=50]

Blond kann man seit 16. September 2022 auf Netflix anschauen.

© Copyright aller Bilder bei Netflix.

Jetzt teilen


*Dieser Artikel kann Affiliate-Links zu unseren Partnern enthalten.

Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments
Torsten Peters
Torsten Peters
7. Februar 2023 9:25

Der Film hat sein Publikum schlichtweg überfordert, da er als klassisches Biopic verkauft wurde, aber eigentlich eine gut gemachte Kopie der Filme von Lars von Trier ist. Und der ist alles, aber nicht leicht konsumierbar. Speziell seine Filme „Breaking the Waves“, „Dancer in the Dark“ und „Dogville“ dürften Pate gestanden haben. Auch die Inszenierung erinnerte mich ständig an von Trier. Und dass diese Filme nicht für ein Mainstreampublikum gedacht sind macht es dann schwer für… Weiterlesen »