In einem armen Land können Touristen einen Doppelgänger ihrer selbst erstellen lassen, um der Todesstrafe zu entgehen. Infinity Pool erzählt von einem Touristen, der sich darauf einlässt und in einer Spirale von Gewalt, Sex und Hedonismus bald schon nicht mehr er selbst ist. Wie gut der neue Film von Brandon Cronenberg ist, erfahrt ihr in meiner Kritik!
Lesezeit: ca. 8 Minuten
Filmkritik zu Infinity Pool
Mit Possesor und Antiviral hat Brandon Cronenberg schon zwei umstrittene Filme abgeliefert, die nicht nur den Menschen, sondern vor allem seinen Körper im Zerfall zeigen. Ganz im Geiste des Vaters, Meisterregisseur David Cronenberg, der in den 80ern und 90ern mit Body-Horror-Filmen wie dem fantastischen Die Fliege (1986), Videodrome (1983) oder Crash (1996) von sich reden machte, erschafft der Sohn mit Infinity Pool einen berauschenden Horror-Thriller, der aber mehr sein will als bloße Zurschaustellung des Ekelhaften.
Wie auch schon sein Vater stellt sich Brandon Cronenberg in seinen Filmen die Frage nach dem Sein des Menschen, nach den Tiefen Gelüsten, aber auch den oberflächlichen Begierden. Die exzentrische, wie gefühlvolle Inszenierung trägt dabei zum Flair von Infinity Pool bei: Denn wir starten vermeintlich idyllisch mit mehreren Kameraeinstellungen, die ein Urlaubsparadies aus wohlwollenden Klängen, tropischen Kulissen und plätschernden Stränden präsentieren.
Ein Urlaubsparadies für James (Alexander Skarsgard) und seine Frau Em (Cleopatra Coleman), der eine ein Buchautor mit einem Erstlingswerk, dass schon mehrere Jahre zurückliegt, die andere die Erbin reicher Eltern. Man sieht James schon von Anfang an die Selbstzweifel an, die er hegt. Nur werden die von Gabi (Mia Goth) vorrübergehend weggespühlt, als sich die junge Frau als Fan seines Buches zu erkennen gibt.
Alsbald verabreden sich die beiden Pärchen, Gabi begleitet von ihrem Mann Alban (Jalil Lespert), zum Abendessen in der Hotelanlage, die aufgrund der hohen Kriminalitätsrate im Land hermetisch abgeriegelt und nur für Touristen bestimmt ist. Und spontan entscheiden sich die Urlauber, die Gegend außerhalb des Hotels zu erkunden, was sich als großer Fehler herausstellt…
Klassenkampf bis in den Tod
Mit Infinity Pool erschafft Cronenberg ein klassenkämpferisches Plädoyer, dass bis in den Tod hineinreicht. Denn als sich die vier Touristen aus dem abgeriegelten Hotel raus in das „echte Land“, in dem sie gerade Urlaub machen, wagen, passiert das Schlimmstmögliche: Nach einem Tag voller Sonne, Sonnenschein und Handjobs (schaut den Film selbst, das will ich an dieser Stelle nicht erklären) überfährt James auf der Rückfahrt ins Hotel einen Einheimischen, der sofort tot umfällt.
Obwohl es alle vier wohlauf zurück in die Hotelanlage schaffen, steht am nächsten Tag die Polizei vor der Tür und nimmt James und seine Frau mit. In dem autoritär regierten Land wird jeder, der einen anderen Menschen getötet hat, sei es gewollt oder durch einen Unfall, zum Tode verurteilt. Es gibt aber eine Ausnahme: Besonders reiche Menschen, zu denen in diesem armen Land ganz klar auch Touristen zählen, können sich für viel Geld einen Doppelgänger ihrer selbst herstellen lassen, der dann an ihrer Stelle hingerichtet wird.
James entscheidet sich für genau diesen Weg und wird dann dazu gezwungen, der Exekutionen zusammen mit seiner Frau beizuwohnen. Cronenberg gelingt hier ein besonders perfider Kommentar auf die Klassengesellschaft, in der auch wir uns ohne Frage befinden: Obwohl die verschiedenen Klassen, hier die Touristen und die armen Einwohner des Landes, ohnehin schon hermetisch voneinander getrennt leben und kaum Kontakt zueinander haben, was den Klassenkonflikt vermeintlich besänftigen könnte, gibt es bei einer Grenzüberschreitung der privilegierten Klasse trotzdem einen Ausweg für ebendiese.
Die untere Klasse hat diesen letzten Ausweg, diesen Komfort, den das schöne Geld ermöglicht, nicht. Trotzdem scheint das Freikaufen von den Konsequenzen des eigenen Handelns an James nicht spurlos vorbeizugehen, denn nach dem Tod seines Doppelgängers begibt sich unser Protagonist auf eine Reise voller Exzess, Gewalt und Hedonismus. Übrigens: Den neusten Film von David Cronenberg, dem Vater von Brandon, habe ich letztes Jahr hier besprochen. Allerdings konnte mich Crimes of the Future nicht wirklich überzeugen.
Du bist nicht du, wenn du unendlich bist
Der Infinity Pool ist ganz im Sinne des Wortes ein Pool, in den sich reiche Menschen begeben können, um vor den Konsequenzen ihres Handelns zu fliehen. In diesem Pool wird der eigene Körper kopiert und alsbald für den unabdingbaren Tod vorbereitet. Jetzt könnte man aufgrund dieses Umstands einen weiteren Teil des Klassenkampfes von Oben kritisieren: Die unendliche Verschwendung des Geldes, um sich gar einen Schutzmantel aus Scheinen zu kreieren, vor dem jede Kritik abprallt.
Brandon Cronenberg tut das zunächst nicht, sondern beschäftigt sich mit den brutalen, scheinbar doch vorhandenen Konsequenzen, die die unendliche Reproduzierbarkeit und das Entgehen vor Straftaten mit sich bringt. Er schickt James nach der Hinrichtung seines Doppelgängers auf eine Reise voller Gewalt, Sex und träumerischen Bildern.
Denn die vermeintlichen Fans seines Buches entpuppen sich schnell als Meister des Hedonismus, die selbst schon Dutzende Male hingerichtet wurden und sich allabendlich auf ungeheuerliche Raubzüge, geplante Vergewaltigungen, Sexorgien und Exzesse der Gewalt begeben. Und sie nehmen James mit. Besonders Gabi scheint angetan von dem noch unerfahrenen Buchautor zu sein. Und die fantastische Mia Goth, die mich schon in Filmen wie X und Pearl überzeugen konnte, schafft es auch hier wieder, eine Frau zu spielen, die in ihrer reinen Präsenz schon Unbehagen auslöst und durch ihre Taten dann zur Heimsuchung von James wird.
Allerdings muss ich an dieser Stelle aufpassen, nicht zu viel vom Rest des Films zu verraten, denn der hat es wirklich in sich. Und die Reise, auf die sich James begibt, sollte man als Zuschauer wohl besser selbst erlebt bzw. durch die Magie des Films in sich aufgenommen haben.
Hell ist die Nacht, dunkel die Gedanken
Schon in seinem letzten Film Possesor haben die Gedankenspiele, die der Regisseur rund um das Mensch-Sein, das Bewusstsein und den Körper aufmacht, begonnen. Mit Infinity Pool denkt Cronenberg diese Gedankenspiele nun weiter, übertragt sie gar in eine Kritik der Vernunft bei gleichzeitiger Zurschaustellung des Exzesses. Denn irgendwie scheint sich James seiner, im Laufe des Films immer grauenvolleren Taten, bewusst zu sein. Und nicht nur das, er scheint sie auch zu hinterfragen. Aber das Hinterfragen scheint nicht automatisch zur Erkenntnis zu führen, dass das Vernünftigste das Unterlassen dieser Taten wäre.
Angetrieben von Gabi, Alban und Konsorten riskiert unser Protagonist immer mehr, begibt sich immer tiefer in die Abgründe seines eigenen Seins. Ergründet die Abartigkeiten, die sich in seinem Kopf verstecken und lebt sie mit seinem Körper aus. All das mündet ganz am Ende in einer der eindrucksvollsten Szenen, die der Film zu bieten hat, die ich aber nicht spoilern will. Trotzdem stellt sich ebenfalls heraus, dass er möglicherweise nie die volle Kontrolle über sein Tun hatte.
Während des Klonvorgangs wurde James betäubt. Welche Szenen, die uns der Film vorspielt, sind also wirklich passiert? Welche Gräueltaten haben James und seine Mitspieler wirklich vollführt und welche sind nur eingebildet? Die Nacht ist hell erleuchtet vom Scheinwerferlicht der Autos, als uns der Film mit einer seiner wichtigsten Szenen konfrontiert. Doch die Gedanken in James, womöglich auch in denen seines Doppelgängers, den er in diesem Moment vor sich sieht, sind dunkel.
Rasend exzentrische Bilder
Während James einen Albtraum nach dem anderen erlebt, inszeniert Regisseur Brandon Cronenberg den ganzen Film über bildgewaltig, exzentrisch und träumerisch. Einzelne Szenen verschwimmen ineinander, Charaktere tun einmal dies und in der Überblendung das. Ab der zweiten Hälfte wirkt Infinity Pool teilweise wie ein filmgewordener Fiebertraum, wie eine rasende Schlagader, die zu platzen droht, aber nie platzt.
Mit dieser Bildgewalt, mit den Effekten, die Cronenberg ganz gezielt platziert, riskiert er zwar, dass manche Zuschauer den Kinosaal in großer Wut ob des von allen guten Göttern verlassenen Schundwerks verlassen. Dieses Risiko lohnt sich aber für alle, die sitzen bleiben, die den Film auf sich wirken lassen, die jede einzelne Szenen in sich aufnehmen und wiederum mit eigenen Gedanken füllen.
In gewisser Weise leistet Cronenberg hier nur Vorarbeit für mannigfaltige Interpretationen seines Werkes. Denn der Film bietet mit seinen Themen so viele Dinge, über die es sich lohnt, zu sprechen. Und Infinity Pool wird in jedem Kinogänger etwas anderes auslösen und womöglich eine andere Sicht auf den Film hervorrufen. Eine Sicht auf ihn biete ich mit dieser Kritik. Eine andere Sicht kann jeder Einzelne von euch bieten, der seine Meinung zum Film in die Kommentare schreibt.
Nepo-Baby oder Daddy-Issues?
Bevor ich zum Fazit dieses Films komme, möchte ich noch ein paar Worte über David und Brandon Cronenberg verlieren. Der Erstere ist verantwortlich für einige der einflussreichsten Filme überhaupt, hat mit seinen Werken schon immer für Diskussion gesorgt und Kommentare auf unseren Umgang mit Medien, Wissenschaft, dem Menschsein und vielem mehr geliefert.
Sein Sohn versucht, ganz nach dem Papa zu kommen. Auch er erschafft unter dem Deckmantel des Body-Horrors und des Exzesses Filme, die sich hochaktuellen Problematiken und gesellschaftlichen Missständen widmen, allerdings auch ganz ohne diese zusätzliche Note genossen werden können.
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Infinity Pool ist hierbei wohl sein bisher persönlichstes Werk, denn der Protagonist soll ganz offensichtlich Brandon Cronenberg selbst mit all seinen Problemen und dem Rollenverständnis als Sohn eines Meisters verkörpern. Nur stellt sich dabei die Frage, ob er damit nur seine Daddy-Issues verarbeiten will, die ich durchaus nachvollziehen könnte, schließlich konnte keiner seine Filme bisher den Kultstatus und die Aufmerksamkeit erreichen, wie die Werke seines Vaters es konnten.
Oder ob Infinity Pool vielleicht nicht vielmehr ein äußerst selbstreflektiertes Werk, in dem der Künstler zwar sowohl all seine Probleme verarbeitet, diese aber auch auf eine gewisse selbstironische Art und Weise aufbereitet, ist. Ich tendiere zu letzterem.
Fazit & Bewertung
Infinity Pool ist ein meisterhaft inszenierter Film, der sich aber nicht auf seinen exzentrischen Bildern oder der Prämisse ausruht, sondern durch seine Kreativität und meisterhafte Infragestellung des existenten Klassensystems sogar einen Beitrag zur Kapitalismuskritik liefert und dabei zwar verstörend, aber verdammt sexy rüberkommt!
Dabei können auch die Schauspieler mehr als nur überzeugen, gerade Mia Goth halte ich für eine der großen Newcomerinnen, von der wir in Hollywood in den nächsten Jahren bestimmt noch einiges hören werden. Aber auch Alexander Skarsgard, der wie Brandon Cronenberg, zu einer großen Künstlerfamilie gehört, kann überzeugen. Ein Kinobesuch lohnt sich also!
Infinity Pool ist ein meisterhaft inszenierter Film, der sich aber nicht auf seinen exzentrischen Bildern oder der Prämisse ausruht, sondern durch seine Kreativität und meisterhafte Infragestellung des existenten Klassensystems sogar einen Beitrag zur Kapitalismuskritik liefert und dabei zwar verstörend, aber verdammt sexy rüberkommt!
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Bewertung:
4/5
Infinity Pool startet am 20. April 2023 in den deutschen Kinos.
© Copyright aller Bilder bei NEON/topicStudios.
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