Mit John Wick 4 startet das (doch nicht finale) neue Kapitel der Saga in den Kinos. Warum der Actionheld auf der großen Leinwand auftrumpfen kann, aber es trotzdem an der Substanz bröckelt, erfahrt ihr in meiner Filmkritik!
Lesezeit: ca. 8 Minuten
Um was geht’s?
Nachdem John Wick in Kapitel 3 aus dem Continental hochkant rausgeworfen wurde und jetzt die halbe Welt auf der Suche nach dem Mann im schwarzen Anzug ist, muss sich der von Keanu Reeves gespielte Auftragsmörder auch in Kapitel 4 neuen Gefahren und härteren Gegnern stellen. Dabei steigt auch sein Kopfgeld in immer absurdere Höhen und aus Freunden können sehr schnell Feinde werden.
Zusammen mit Chad Stahelski, der schon die anderen drei Filme der Wick-Trilogie gemacht hat, inszeniert Keanu Reeves mit dem vierten Teil ein weiteres Actionfeuerwerk, dass aber erst nach und nach so richtig zündet und gerade am Anfang ein substanzielles Problem hat. Wie gut der Film geworden ist, erfahrt ihr in meiner Kritik!
Filmkritik zu John Wick 4
Filme! Ein altes, ein ehrwürdiges Medium. Ein Medium, dass für Diskussion sorgt und zur Diskussion anregt. Filme sind oft zeitlos, sie sind fast immer politisch. Filme sind aber auch ein Medium, in das man sich fallen lassen kann. Das einen einsaugen und in eine andere Welt transportieren kann. Filme können das alles. John Wick 4 ist ein Film. Und er sorgt für Diskussion, er ist politisch und er saugt uns in eine andere Welt.
Nicht in eine Fantasywelt mit Trollen und Märchenfiguren, nicht in eine dystopische Zukunftsversion unserer Erde oder in die Weiten des Weltalls. Nein, aber in eine Welt, die der unseren ähnlich ist und doch gleichzeitig eine ganz andere Dimension widerspiegelt. Eine Welt, die geboren wurde aus reiner, brutaler Action mit einem gebrochenen Helden, der einmal durch die Hölle geht und dessen Motivation schon lange nicht mehr Rache ist.
Zusammen mit Wick begeben wir uns auf einen Feldzug, der nur Leichen hinterlassen kann. Und Logik spielt dabei kaum mehr eine Rolle. Die rohe Gewaltorgie, der sich John Wick mit uns zusammen aussetzt, entbehrt jedweder Nachvollziehbarkeit, eine realistische Heldenfigur sucht man in diesem Film vergebens. Aber jetzt kommt das interessante daran:
Diese ganze Beschreibung des Films ist kein Verriss meinerseits, sondern ein Loblied auf diesen vierten Teil einer Actionreihe, die keine Geschichte unserer Realität erzählen will, sondern eine Raumerfahrung von Actionsetpieces darstellt mit einem Protagonisten, der durch ein Inferno geht. John Wick 4 ist der beste Teil der Reihe!
Actionfeuerwerk hoch drei
Wenn man sich die Zuschauerschaft im Kino so ansieht, dann würde ich jetzt einfach mal vermuten, dass viele Menschen einen Film ansehen, weil er eine spannende Geschichte erzählt. Weil er nachvollziehbare Protagonisten hat und einfach Sinn ergibt. Es wird aber bestimmt auch genauso viele Menschen geben, denen das bloße Konzept der Handlung zu wenig ist. Denen es egal ist, ob die Geschichte an sich Sinn macht, solange sie ihren Zweck erfüllt. Die ins Kino gehen, weil sie sich auf einen Film ganz einlassen wollen. Unabhängig davon, ob die Handlung nun Sinn macht oder vollkommen abgehoben ist.
Genau solche Menschen wird John Wick 4 sicherlich voll und ganz abholen. Denn wer eine tiefere Bedeutung in den Handlungsmustern des Actionhelden sucht, ist in diesem Film mal sowas von falsch. Wer aber grandios inszenierte Action und wunderschöne Bilder sucht, der wird hier fündig!
Chad Stahelski hat sich ja schon zuvor bewiesen und mit jedem neuen John Wick einen weiteren brachialen Actionkracher auf die Leinwände gezaubert. Aber im vierten Kapitel seiner Actionsaga übertrifft sich der Regisseur nochmal selbst. Selten hat man solche beeindruckenden Bilder gesehen, die perfekt mit der gezeigten Action interagieren.
Wenn wir etwa in einem Berliner Nachtclub unterwegs sind, und nicht nur die grell leuchtenden Neon-Lichter unsere Sinne stimulieren, sondern auch noch Wasserfälle von mehreren Ebenen des Clubs in die Tiefe rauschen, dann kommt man aus dem Staunen kaum noch raus. Dieser Film ächzt nur so vor kreativen Ideen, wie man denn nun die nächste Actionszene umsetzen könnte.
Die Action wird vor dem Drehbuch geplant
Ein ungeschriebenes Gesetz, das bei vielen Actionfilmen gilt: Es wird zuallererst geplant, welche Actionszenen man umsetzen will. Welche Stunts der Film haben soll, welche Location am beeindruckendsten ist. Erst danach wird ein Drehbuch um dieses Konstrukt herum geschrieben. So passiert ist das vermutlich auch in John Wick 4.
Denn allein schon, wenn man im Drehbuch nach einer nachvollziehbaren Motivation für das Handeln eigentlich aller beteiligten Parteien sucht, wird’s schwierig. Weder Antagonist Marquis de Gramont (Bill Skarsgard) noch Protagonist John Wick (Keanu Reeves) werden noch von irgendetwas außer purem Willen zur Zerstörung getrieben. Klar, die ganze Story rund um die Continental-Hotels mag eine willkommene Entschuldigung für all das Rumgeballere sein, Sinn machen tut sie aber nicht.
Und nach dem hundertsten schemenhaften Soldaten, den John Wick umlegt und der tausendsten Kugel, die aus seiner scheinbar endlosen Pistole geschossen wird, stellt man irgendwann fest: Nach einem Sinn sollte man hier nicht suchen, den Bezug zur Realität hat John Wick 4 schon längst verloren. Aber das ist auch gar nicht schlimm, denn erst dadurch wird eine tiefere Ebene der Analyse eröffnet:
Einmal durch die Hölle und zurück
John Wick ist kein bodenständiger Charakter. John Wick ist kein Actionheld im klassischen Sinne. Während er in Teil eins noch durch seinen toten Hund motiviert wurde, Dutzende von Menschen umzulegen, ist diese Motivation mit dem vierten Teil nun gänzlich verschwunden. John Wick ist auch kein Charakter, mit dem man sich identifizieren kann oder überhaupt will. Nein, John Wick ist ein Konzept. Und die Welt, in der er sich bewegt, ist eine Raumerfahrung, die den Zuschauer mit der Hölle auf Erden konfrontiert.
John Wick kann vieles verkörpern. Ein gottähnliches, fast unsterbliches Wesen, wie es die griechische Mythologie zeichnet? Ein mythologisches Konzept von Rache, Lust und Traurigkeit? Oder doch ein religiöses Symbol, mit denen der Film ohnehin ständig spielt? Wer oder was ist dieser Mann, der sich durch Gegnerhorden schießt, ohne einmal mit der Wimper zu zucken? Der scheinbar unmögliche Szenarien unbeschadet übersteht?
Es ist zwecklos, bei John Wick 4 über einen sinnvollen oder sinnlosen Plot, über irgendwelchen Realismus oder Logik zu streiten. John Wick 4 ist eine Erfahrung, ein Ritt durch die Hölle. Und jedes Actionsetpiece, jede Konfrontation ist eine Station auf diesem Ritt. Dabei wird das Konzept des Helden eigentlich komplett über Bord geworfen.
John Wick ist ein abstraktes Individuum, dass sich gegen anachronistische Institutionen und verblassende Konzepte kämpft. Aus einer einfachen Rachegeschichte wurde eine Konzeption von Wut, Macht, Grenzenlosigkeit, aber gleichzeitig auch Einsamkeit. Denn John Wick ist ein einsamer Mann, ein Mann, der nur deswegen überhaupt noch existiert, um jeden Feind, der sich ihm in den Weg stellt, zu ermorden.
Mehr Videospiel als Film
Um meiner Argumentation von gerade eben jetzt direkt wieder zu widersprechen, habe ich noch einen interessanten Punkt gefunden, anhand dem man diesen vierten Teil von John Wick interpretieren und gleichzeitig auch ein bisschen dekonstruieren kann. Während meine vorherige Analyse eher das Gegenteil bewirken sollte, will ich den Film jetzt komplett auseinandernehmen, denn: John Wick 4 würde als Videospiel besser funktionieren denn als Film!
Krasse Feststellung, oder? Ich will gleich sagen, dass ich genau diese Sichtweise, die ich jetzt selber erörtere, nicht teile, aber sie trotzdem sehr spannend finde. Schaut man sich den groben Plot von John Wick 4 an, dann lässt sich leicht eine Art Videospiel-Logik erkennen. Zunächst mal wäre da diese Queststruktur, die viele Videospiele besitzen: Gehe dahin, um das zu besorgen, damit du danach mit diesem Charakter sprechen kannst, der dich dann zu jenem Ort führt.
Bei John Wick 4 verhält sich das ähnlich: Der „Held“ muss seinen „Freunden“ helfen, damit sie nicht sterben. Um das zu tun, will er den Marquis zu einem Duell herausfordern. Damit das klappt, braucht er eine Familie, die das Duell initiiert. Damit er in eine Familie aufgenommen wird, muss er zunächst diesen und jenen Bösewicht umlegen. Erkennt ihr ein Muster? So ging es mir im Kino auch.
Desweiteren hat mich diese Schießorgie, die der Film auffährt, zeitweise an vergleichbare Videospiele wie Uncharted oder Tomb Raider erinnert. Zunächst scheint der Protagonist ein normaler Mensch zu sein, doch ein Initialereignis führt dazu, dass er sich von jetzt an durch Dutzende und Aberdutzende Gegnerhorden schießen muss. Ohne einmal stehen zu bleiben, einmal über sein Handeln nachzudenken.
Lara Croft ergeht es in den aktuellen Reboots der „Tomb Raider“-Reihe so: Sie beginnt schon als fast noch Teenagerin jeden, der sich ihr in den Weg stellt, umzunieten. Ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Und so ähnlich ist es auch bei John Wick 4. Egal, wie viele Menschen der Protagonist auf dem Gewissen hat, es werden einfach immer mehr und mehr und mehr…
Anlaufschwierigkeiten
Dass John Wick 4 kein perfekter Film ist, merkt man vor allem am Anfang, bevor die Action so richtig Fahrt aufnimmt. Denn da weiß der Film noch nicht so recht, wie er all das aufsetzen und etablieren will, was gezwungenermaßen folgen muss. Da wird dann erstmal minutenlang herumlamentiert, der vermeintliche Bösewicht bekommt einen ersten Auftritt und man versucht ihn natürlich direkt als unerreichbar grauenvoll zu inszenieren.
Bill Skarsgard macht da in seiner Rolle auch echt einen tollen Job, nur das Drehbuch schreibt ihn sich so zurecht, dass er auch direkt aus einem Comic kommen könnte, so bilderbuchhaft böse, wie er ist. Genauso ist es mit John Wick. Wie ich vorhin schon geschrieben habe, existiert dieser Charakter im Prinzip nur noch schablonenhaft und als Vehikel für die Action.
Das muss nichts schlechtes sein, wird vielen aber negativ auffallen. Genauso ergeht es den Dialogen, die hier lachhaft bedeutungsschwanger und kaum relevant sind. Da ist es nur passend, dass John Wick selbst eigentlich nur in die Kamera grummelt und ein paar Oneliner von sich gibt. Erst in der zweiten Hälfte wird das volle Feuerwerk gezündet und der Film nimmt merklich an Fahrt auf. Übrigens ganz ähnlich wie Avatar 2, den ich hier auf dem Blog auch schon besprochen habe!
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Ein neues Level
Ja, wir müssen jetzt abschließend auch noch kurz über all das reden, was John Wick technisch so leistet. Vieles davon ist ganz wortwörtlich ein neues Level an Brillanz, John Wick 4 bringt das Actionkino einen Schritt weiter! Schauen – oder besser gesagt – hören wir uns allein schon das Sounddesign an, wird deutlich, dass hier Meister am Werk sind! Selten hält sich der Sound eines Actionfilms so sehr im Hintergrund und ist doch immer präsent wie hier.
Das gleiche gilt für den Schnitt des Films. Es ist weniger das Protzen mit abgefahrenen Schnittmustern, dass so heraussticht. Es ist viel mehr die Zurückhaltung, aber trotzdem dezente Einsetzung von kreativen Schnitten immer dann, wenn es nötig ist. Und eben auch die Abstinenz von Schnitten, wenn es in Gefechten so richtig zur Sache geht. Dann hält die Kamera drauf und erzeugt ein Bild, dass wirkt.
Und von der Kamera will ich gar nicht erst anfangen. Was Dan Laustsen und seine Crew hier geleistet haben, wird das Actionkino für Jahre prägen. Nur selten hab ich eine so ruhige Kamerafahrt in einem Actionfilm gesehen. Gleichzeitig wird die Kamera in bestimmten Momenten auch auf unglaublich kreative und einzigartige Weise eingesetzt. Etwa dann, wenn wir in der Vogelpersepktive über den Geschehnissen schweben und die Kamera unserem Protagonisten von oben betrachtet und von Raum zu Raum folgt. Einfach grandios!
Fazit & Bewertung
Ab ins Kino! Mehr kann man zu diesem Film nicht sagen. John Wick 4 ist ein Actionfilm der Extraklasse mit tollen Bildern, einer grandiosen Action-Inszenierung und einer brillianten technischen Umsetzung. Der Film wird jeden umhauen, der nur für die spannenden Kämpfe und brutalen Fights ins Kino gegangen ist. Gleichzeitig lässt er aber auch genug Spielraum, um über Symboliken und Konzepte zu philoophieren, die der Film ganz eindeutig aufmacht.
Klar, wer hier nach Sinn, Logik und Realismus sucht, wird kaum fündig werden. Das muss jedem klar sein. Wer aber ein Actionfeuerwerk sehen will, der ist mit John Wick 4 goldrichtig bedient! Und für mich ganz persönlich ist dieser neuste Film der Reihe auch deswegen so besonders, weil er eben den ein oder anderen Weg bereithält, tiefer in die Analyse dieses Konzepts „John Wick“ einzusteigen. Für mich ist das der beste Film der Reihe und definitiv einer der besten Actionfilme der letzten Jahre! Genau wie Bullet Train aus dem letzten Sommer, der zwar nicht ganz an die Klasse dieses Films heranreicht, aber trotzdem empfehlenswert ist! Meine Kritik dazu findet ihr hier.
Grandiose Action, eine überragende Inszenierung und eine kreative Kameraarbeit! All das macht John Wick 4 zum abstraktesten, aber auch besten Film der Reihe.
Bewertung:
4/5
John Wick: Kapitel 4 startet am 23. März 2023 in den deutschen Kinos.
© Copyright aller Bilder bei Leonine.
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Okay, deine Kritik ist insofern interessant, als dass unser Verständnis von einem guten Actionfilm weit auseinanderliegt. Wenn ich mir in Zukunft also überlege, einen Film anzuschauen, sehe ich erst nach, ob Du ihn als gut bewertest, und spar mir dann das Geld lieber.