Darum solltet ihr diesen Film JETZT ansehen: Kritik zu Niemals Selten Manchmal Immer

Nachdem vor wenigen Wochen das Recht auf Abtreibung in den USA durch das Grundsatzurteil „Roe vs. Wade“ gekippt wurde, will ich euch heute einen ganz besonderen Film vorstellen. Dieser Film zeigt auf beeindruckende Weise, wie wichtig das Recht auf Abtreibung sein kann, egal auf welcher Seite man politisch steht: Niemals Selten Manchmal Immer.

Lesezeit: ca. 6 Minuten

Um was geht’s?

Die 17-Jährige Autumn Callahan (Sidney Flanigan) lebt im ländlichen Pennsylvania und arbeitet in einem örtlichen Supermarkt. Als eines Tages ihre Periode ausbleibt, will sie ihre Befürchtung bestätigen und macht einen Schwangerschaftstest. Als dieser positiv ist und ihr auch im Gesundheitszentrum der Stadt gesagt wird, dass sie bereits in der zehnten Woche schwanger ist, fährt sie zusammen mit ihrer Cousine nach New York.

In Pennsylvania brauchen Minderjährige für eine Abtreibung die Zustimmung der Eltern, deswegen entscheiden sich die beiden für die beschwerliche Reise mit wenig zusammengekratztem Geld. In New York angekommen stellt sich heraus, dass sie schon in der achtzehnten Schwangerschaftswoche ist und deshalb eine zweitägige Behandlung nötig ist. Im Laufe des Film begleiten wir nun zwei junge Frauen auf einer von Hindernissen, sozialer Ausgrenzung und ökonomischen Schwierigkeiten geprägten Reise, die zeigt, wie schwierig das Recht auf Abtreibung, selbst ohne das Urteil des Supreme Courts vor wenigen Tagen, ausgeübt werden kann. Meine Kritik lest ihr hier.


Filmkritik zu Niemals, Selten, Manchmal, Immer

Als Autumn eines morgens aufwacht, steht die Welt für das junge Mädchen auf dem Kopf. Zwar hatte sie es auch davor schon nicht einfach, die Familie lebt in einer prekären finanziellen Lage, die Beziehung zur Mutter ist nicht gerade gut. Doch nachdem sie erfährt, dass sie schwanger ist, bricht die Welt über Autumn zusammen. Sie lebt in Pennsylvania. Dort sind Abtreibungen für unter 18-Jährige nur mit Zustimmung der Eltern erlaubt.

Also versucht die junge Frau, sich das ungeborene Leben wortwörtlich auszuschlagen. Sie kämpft mit sich selbst, schlägt sich auf den Bauch. Doch so einfach scheint es nicht zu sein. Im Gesundheitsamt bietet man ihr Broschüren an. Broschüren über Adoptionsmöglichkeiten. Broschüren über Tipps für junge Mütter. Keine Broschüren über Abtreibungsmöglichkeiten.

Eine Abtreibung. Das ist nicht nur in Pennsylvania, nicht nur den USA, nein, eigentlich auf der ganzen Welt ein Tabuthema. Und so zeigt sich dieses Tabuthema für Autumn in ihrer Situation als grässliche Fraze, die sie nicht von sich bekommt. Also entschließt sie sich, auf eigenen Pfaden zu wandern und in New York eine Abtreibungsklinik zu finden. Immer mit dabei ist ihre Cousine, die in der Heimat noch schnell die letzten Geldreserven zusammengekratzt hat.

Allerdings reichen diese Reserven nicht sehr lange, es stellt sich heraus, dass Autumn bereits achtzehn – und nicht wie im Gesundheitszentrum in ihrer Heimatstadt behauptet – zehn Wochen schwanger ist. Also muss sie in eine Spezialklinik und der Aufenthalt in New York verlängert sich nochmal um einen Tag.

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Der Kampf gegen so viele Hürden

Niemals Selten Manchmal Immer

Niemals Selten Manchmal Immer zeigt auf bedrückende Art und Weise, mit welchen Hürden es unfreiwillig Schwangere im angeblich freisten Land der Erde zu tun bekommen. Durch die Perspektive der Protagonistin erleben wir die ganze Härte des amerikanischen Gesundheitssystems, aber auch der so unendlich vielen Vorurteile und ideologisch verankerten Bewertungen, denen Autumn begegnet. Dabei zeigt sich eben auch, dass man sich Abtreibungen leisten können muss.

Welche sozioökonomischen Implikationen solch ein Fakt mit sich bringt, lässt sich wohl nur schwer durch eine einfache Filmkritik aufzeigen. Und trotzdem erhärtet sich ebendieser Eindruck mit jeder Minute, die der Film voranschreitet. Er verarbeitet ein schwieriges Thema auf so wundervoll grausame Art und Weise. Woher etwa der Filmtitel stammt, lässt sich anfangs nur erahnen.

Doch im Laufe des Streifens erfahren wir, dass man vor einer Abtreibung ganz genau über sein Sexualleben, seine Beziehungen und alles drum herum abgefragt wird. Man kann dann auf Fragen wie „Hat sie ihr Partner jemals zu Sex gezwungen?“ mit Niemals, Selten, Manchmal oder Immer antworten. Und in ebenjener Szene, in der Autumn diesen Fragen ausgesetzt wird, wiederholen sich die Antwortmöglichkeiten nicht nur ganz audiovisuell im Film durch eine Psychologin, die diese mantraartig abfragt. Nein, sie wiederholen sich auch im Kopf des Zuschauers bei jeder neuen Frage, bis man vor lauter Absurdität nur noch fassungslos dasitzt.

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Mit jeder Minute persönlicher

Zwar wird der Film mit jeder Minute immer persönlicher, zeichnet anfangs nur das Bild einer halbwegs normalen Teenagerin und ist dabei seinen Charakteren gegenüber zunächst sehr unpersönlich. Doch mit Voranschreiten der Zeit entwickelt Niemals, Selten, Manchmal, Immer seine Protagonisten derartig faszinierend, dass am Ende nur eine Frage stehen bleibt: Warum muss Autumn all diese Fragen, die ihr im psychologischen Gespräch gestellt werden, beantworten? Warum ist es nicht egal, wer sie ist, woher sie kommt, warum sie hier ist?

Diese eine Frage nach dem Warum eines solchen Gesprächs wird sich jeder Zuschauer, abhängig vom persönlichen Standpunkt zum Thema Abtreibungen selbst beantworten müssen. Oft bleibt der Zuschauer in diesem Film nur Interpret. Und dennoch sollte eine Antwort universell sein: Abtreibungen sind ein Grundrecht. Wird dieses Grundrecht beschnitten, wird das Leben und die Freiheit von Frauen beschnitten.

Und selbst wenn dieses Recht formal besteht, so ist es praktisch noch lange nicht gesichert. Abtreibungsgegner, religiöse Ideologen, selbst das amerikanische Gesundheitssystem stehen diesem universellen Recht oft genug gegenüber. Und wenn eine Frau aus prekären Verhältnissen sich dem System des Nicht-Abtreibens entgegenstellt, erblüht dieses System erst Recht.


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Eine große politische und ideologische Tragweite

Was Niemals Selten Manchmal Immer so besonders macht, ist nicht die Inszenierung. Die ist unspektakulär, den Situationen angepasst und mit ruhiger Kamera erarbeitet. Vielmehr die politische und ideologische Tragweite, die der Film besitzt, macht ihn so einzigartig. Seine echten Emotionen, seine echten Momente. Wie ein Sog zieht einen der Film in eine dunkle Welt für eine junge Frau. Dass dabei kaum Musik vorhanden ist, tut sein übriges.

Auf diesen Film muss man sich einlassen, dieser Film ist hart und ehrlich. Und dieser Film versucht dabei den Leidensweg von Autumn präzise, aber nicht wertend, nachzuzeichnen. Der Zuschauer ist der zentrale Punkt des Films. Erst durch ihn wird der Film vollständig. Und erst durch ihn wird er für jeden Menschen ein ganz persönliches Erlebnis. Wer hier nicht mindestens einmal ein paar Tränen vergießen will, muss stark sein.

Und warum dieser Film auf so vielen Festivals und nicht zuletzt auch bei den Oscars letztes Jahr so sträflich umgangen wurde, erschließt sich mir nicht. Nicht nur spielen die Schauspieler auf allerhöchstem Niveau, auch die Kamera ist so speziell, weil sie eigentlich überhaupt nicht spektakulär ist, aber eben genau die Momente einfängt, die sie einfangen muss. All das wird von einem fantastischen Drehbuch, das eigentlich, gerade nach dem Urteil des Supreme Courts, mächtigen politischen Sprengstoff haben müsste, komplementiert.

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Fazit & Bewertung

Niemals, Selten, Manchmal, Immer ist gerade so aktuell wie nie. Nachdem die Frauenrechte in den USA scheinbar immer weiter abgeschafft werden, zeigt dieser Film fast schon zu realistisch, warum das Recht auf Abtreibung so wichtig ist. Und die Regisseurin Eliza Hittman hält uns vor Augen, dass auch ohne das Urteil von vor wenigen Tagen eine mächtige Schieflage in den USA, aber auch im Rest der Welt, gerade zu diesem Thema besteht.

Während Deutschland mit der Abschaffung von §219a StGB Abtreibungen entkriminalisiert, wird das eigentlich recht progressive Abtreibungsrecht in den USA jetzt fast vollständig ausgehebelt. Welche Folgen das für die Zukunft einer ehemaligen Demokratie haben kann, hat ja schon Margaret Atwood mit ihrem Roman „The Handmaids Tale“ gezeigt. Eine Empfehlung ist Niemals, Selten, Manchmal, Immer aber definitiv, und aktueller denn je ist der Film ohnehin, obwohl er schon zwei Jahre alt wird.


Aktueller denn je und trotzdem so berührend ehrlich. Trotz eines sperrigen Titels behandelt Niemals Selten Manchmal Immer ein absolut wichtiges Thema und zeigt zugleich, wie angenehm ruhig man den daraus resultierenden Film inszinieren kann.

Bewertung:

4


Niemals Selten Manchmal Immer ist bei Amazon Prime Video verfügbar.

© Copyright aller Bilder bei Focus Features.

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Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

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