Wer aktuell ins Kino will, kommt an diesem Film kaum vorbei: Das neue, opulente Meisterwerk Oppenheimer von Christopher Nolan. Um den Bau der Atombombe, für die der namensgebende Wissenschaftler mit verantwortlich war, geht es dabei eigentlich gar nicht. Meine spoilerfreie Kritik zum bisher besten Film des Jahres!
Lesezeit: ca. 8 Minuten
Filmkritik zu Oppenheimer von Christopher Nolan
“Jetzt bin ich der Tod geworden. Der Zerstörer der Welten”. So beschreibt J. Robert Oppenheimer sich selbst, nachdem er zusammen mit anderen Wissenschaftlern erfolgreich den Bau einer Atombombe abgeschlossen hat. Die Gedankenwelt dieses genialen Wissenschaftlers rund um die wortwörtliche Sprengkraft seiner Handlungen versucht Christopher Nolan jetzt im Film Oppenheimer aufzuzeigen.
Und erschafft damit einen der besten Filme des Jahres, dem es nicht nur gelingt, in die chaotische und doch sinnhafte Gedankenwelt seines Protagonisten einzudringen, sondern diese auch so in einen Film zu verpacken, dass wir als Zuschauer die Sprengkraft von jahrelanger wissenschaftlicher Arbeit bei gleichzeitigen und ständigen Zweifeln vermittelt bekommen. Star-Regisseur Christopher Nolan hat für seinen neuesten Film einen All-Star-Cast aus dem Who-Is-Who in Hollywood zusammengekarrt, um uns die Biographie des Erschaffers der Atombombe zu präsentieren.
Angeführt von Cillian Murphy (28 Days Later) und mit großen Namen wie Robert Downey Jr. (Avengers), Emily Blunt (A Quiet Place) oder Jason Clarke (Planet der Affen) werden wir im Kino von einer Lauflänge von drei Stunden fast erschlagen, bis zumindest ich gemerkt habe, wie schnell die Zeit doch vergeht, wenn man sich ganz und gar in der Welt und den Gedanken von Oppenheimer verliert.
Wer ist Oppenheimer?
Wenn man den Namen Oppenheimer googelt, dann wird man schnell fündig: J. Robert Oppenheimer war ein theoretischer Physiker, der während des Zweiten Weltkriegs das Manhattan-Projekt der USA als wissenschaftlicher Leiter angeführt hat. Das wiederum war ein Deckname für die Erforschung und den Bau der ersten Atombombe, die 1945 dann auch eingesetzt wurde. In den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki wurden zwei Sprengköpfe abgeworfen, die insgesamt mehr als 200.000 Menschen das Leben kosteten.
Christopher Nolan widmet dem Wissenschaftler, der indirekt für diese Grausamkeiten mit verantwortlich war, jetzt einen Film, der mit mehr als drei Stunden Länge ebenso einschlägt wie die Bomben, deren Bau er zeigt. Und dabei geht es im Film gar nicht wirklich um die Atombombe, sondern um den Wissenschaftler dahinter und den Umgang seines Vaterlandes mit ihm.
Oppenheimer ist ein Biopic, aber kein klassisches. Der Film zeigt zwar den Werdegang des Wissenschaftlers, seine verschiedenen Stationen an unterschiedlichen Universitäten, seine Gespräche mit bekannten Vertretern seiner Zunft. Doch Oppenheimer will viel mehr sein, als “nur” ein Biopic. Der neue Film von Christopher Nolan entpuppt sich im Laufe der Zeit mal als ein Kriegsdrama, mal als ein Historienfilm, dann wieder als ein Polit-Thriller und am Ende sogar als ein Gerichtsdrama. Nolan hüpft mit den Genres nur so vor sich hin, ohne sich festzulegen, welchem davon Oppenheimer letztendlich angehören sollte.
Die Genialität dieses Meisterwerks entwickelt sich dann auch erst nach und nach: Oppenheimer selbst war eine gespaltene Persönlichkeit, ein Mann, der mit inneren Dämonen zu kämpfen hatte. Seine Aufgabe an sich, das Manhattan-Projekt zu leiten, war nicht seine große Prüfung. Seine große Prüfung war auch nicht das Erschaffen der Atombombe. Nein, seine große Prüfung war der Umgang mit der Dichotomie seines Verstandes.
Oppenheimer war ein genialer Wissenschaftler. Und genau deshalb wusste er, was seine Erfindung, was die Fertigstellung einer Atombombe nicht nur für ihn selbst, sondern für die Menschheit als Ganzes bedeuten würde. Und deshalb war seine große Prüfung, mit den Zweifeln in seinem Kopf fertig zu werden. Mit einer Aufgabe betraut zu werden, die theoretisch ganz einfach ist. Aber den Menschen praktisch vor unlösbare Aufgaben stellt. Und ich rede hierbei nicht von unlösbaren Schwierigkeiten beim Bau einer Bombe.
Um die Inszenierung eben jenes Zwiespaltes geht es in Oppenheimer. Alles andere wird dem untergeordnet. Wer Oppenheimer ist, erfahren wir eigentlich in diesem Film gar nicht. Aber wir erfahren, mit was er zu kämpfen hatte. Und wofür er sich dann entschieden hat. Aktuell beschweren sich viele darüber, dass Oppenheimer diese oder jene Sache nicht thematisiert. Dem muss ich entgegenhalten: Dass es in einem biografischen Film über einen Wissenschaftler, dessen Name groß im Titel steht, nicht primär um die Perspektive der Japaner oder um die Rollen der Frauen in seinem Leben geht, dürfte doch klar sein, oder?
Zwischen Spaltung und Fusion
Typisch für einen Film von Christopher Nolan wird Oppenheimer in unterschiedlichen Zeitebenen erzählt, zwischen denen immer wieder hin und her geschnitten wird. Mal spielt der Film in den 1920er, dann wieder nach dem Zweiten Weltkrieg. Mal zeigt der Film Oppenheimer bei einem Gespräch mit Albert Einstein, in dem er sich mit ihm vor dem Abwurf der Atombomben berät. Dann schneidet der Film wieder ins Kreuzverhör mit den Bekannten des Wissenschaftlers, die nach seiner glorreichen Zeit durchgeführt werden.
Dieses geniale Spiel mit unterschiedlichen Zeitebenen beherrscht Nolan wie kein Zweiter. Oft dienen diese Spielchen nur dazu, um einen eigentlich simplen Plot komplexer wirken zu lassen, als er eigentlich ist. Doch in Oppenheimer werden sie mehr als nur effektiv eingesetzt. Sie bilden den Kern des Films. Als lineares Erlebnis würde Oppenheimer nie so gut funktionieren, wie er es letztendlich tut.
Denn gerade das Chaos unterschiedlicher Zeitebenen bietet uns Zuschauern die Möglichkeit, uns auch in das Chaos im Kopf von J. Robert Oppenheimer zu versetzen. Er hat sein ganzes Leben lang damit gehadert, was eine Atombombe für die Menschheit bedeutet. Nicht nur nach dem Abwurf über Hiroshima und Nagasaki war in Oppenheimer ein unglaublicher Zwiespalt vorhanden. Auch während der Erforschung und Entwicklung der Atombombe sah er sich mit Ängsten und Schuldgefühlen konfrontiert.
Die Struktur dieses Films weist uns als Zuschauer immer wieder auf diesen Umstand hin. Oppenheimer war nicht nur ein genialer Wissenschaftler, er war auch ein Zyniker, ein linker Denker und ein Mensch mit vermeintlichen Idealen. Natürlich will Nolan aber auch uns im Kino durch das Hin- und Herspringen in der Zeit neue Perspektiven auf Oppenheimer und sein Verhältnis zur Atombombe bieten. Er konterkariert Aussagen, die zuvor getätigt wurden oder lässt sie in verändertem, in neuem Licht dastehen.
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Die Bombe, die alles verändert
Die, ganz wortwörtlich, bombastische Inszenierung des Trinity-Tests, den wir in Oppenheimer in seiner vollen Pracht zu sehen bekommen, wird im Laufe des Films durch Einblendungen wie Explosionen, Sterne und andere Dinge vorbereitet. Im Prinzip ist Oppenheimer als dreistündige Montage angelegt, die jeden, der es zulässt, in seinen Bann zieht.
Hat man anfangs noch den Eindruck, dass Nolan hier wahllos Bilder aneinander schneidet, Szenen ohne Kontext stehen lässt und Zeitebenen miteinander kombiniert, ohne das der Zuschauer es merkt, stellt sich im Laufe von Oppenheimer erst die Genialität dieser Inszenierung heraus: Ein dritter Akt, der an Meisterhaftem kaum zu überbieten ist. Die Konsequenz eines Films, den das Kino, den die Welt in seiner vollendeten Pracht so noch nie gesehen hat.
Über die ersten zwei Stunden bekommen wir einen unfertigen Film serviert. Einen Film, der zwar die ein oder andere geniale Szene bietet und uns mit einer wahrhaftigen Bombe zurücklassen würde, der aber nicht vollendet wäre. Die Vollendung des Meisterwerks gelingt Christopher Nolan mit dem dritten Akt. Wird das Publikum zuvor regelrecht von wahllos aneinandergereihten Bildern und einem hämmernden Score von Ludwig Göransson nur so erdrückt, kristallisiert sich dann nach und nach eine Oper heraus, die sich einer “normalen” Betrachtung, einer Filmkritik, eigentlich entzieht.
Zerstörer der Welten
Während der Erforschung und Entwicklung der ersten Atombombe wurden hunderte Wissenschaftler quasi eingesperrt in einer Stadt weit außerhalb der Zivilisation, mitten in der Wüste. Oppenheimer und seine Kollegen entzogen sich so der Sphäre des Politischen, bekamen nur noch selten Informationen von der Außenwelt.
Jetzt könnte man denken, das sei das Ziel gewesen. Damit die Wissenschaftler im Geheimen und in Ruhe arbeiten können. Und das stimmt natürlich auch. Aber ein weiteres Ziel einer solchen Abschottung dürfte auch gewesen sein, moralische Bedenken auszumerzen, weil man nach Jahren des Aufenthalts in einer wortwörtlichen Bubble von Gleichgesinnten möglicherweise so weit den Fokus auf nur eine Sache gerichtet hat, dass alles drumherum zu verschwimmen scheint.
Die Atombombe wäre somit das Produkt genialer Verstände, eine Sache, auf die man stolz sein kann. Und gleichzeitig eine Sache, von der man Abstand nehmen kann. Die man als wissenschaftliches Projekt ansehen kann. Als mehr aber nicht. Das befreit die verantwortlichen Wissenschaftler von ihrer Verantwortung und lässt sie ohne moralische Bedenken zurück, oder? Nun, Oppenheimer jedenfalls wird von der Abgeschiedenheit und dem Leben in einer Bubble nicht geblendet.
Er hat moralische Bedenken. Und trägt diese dem Präsidenten, Harry S. Truman vor. Der aber hat nur ein müdes lächeln und ein Taschentuch für die Tränen, die Oppenheimer wohl vergießen möge, übrig. Und offenbart ihm eine Wahrheit, die der geniale Wissenschaftler eigentlich selbst kennen müsste: Niemand wird danach fragen, wer die Bombe gebaut hat. Aber alle werden danach fragen, wer sie abgeworfen hat.
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Nolans Politikum
Neben seinen Schauwerten legt der Film auch großen Wert darauf, die damalige Zeit und ihre Politik abzubilden. Oppenheimer ist Christopher Nolans bisher politischster Film. Er präsentiert uns nicht nur eine USA im Krieg, sondern vor allem eine USA, die von Angst vor dem Kommunismus zerfressen ist. Eine USA, die sich als Demokratie versteht, aber jede Person, die eine abweichende Meinung zur vorherrschenden hat, als Verräter ansieht.
Oppenheimer ist kein Film, der die Macht der USA feiert oder in unangebrachten Patriotismus verfällt, sondern einer, der die gesellschaftspolitische Gangart der damaligen Zeit hervorragend widerspiegelt und dekonstruiert. Da ist ein genialer Wissenschaftler, der mit dazu beiträgt, den USA zum Sieg über Japan im Zweiten Weltkrieg zu verhelfen. Und nachdem die Bombe gebaut ist, wird er schneller fallen gelassen als ebendiese über Hiroshima und Nagasaki. Und nicht nur das:
Ihm soll in einem Scheinprozess sogar die Sicherheitsfreigabe entzogen werden, weil er angeblich ein Kommunist sei. Nolan inszeniert die Politik der “Roten Gefahr” und der McCarthy-Ära als genauso problematisch, wie sie nun einmal war: Während der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und mit Beginn des Kalten Krieges hielt in den USA ein eisiger Anti-Kommunismus Einzug. Geprägt von Verschwörungstheorien, Patriotismus, Propaganda und Einschüchterungen bekämpften die USA genau das, wofür sie eigentlich standen: Die Demokratie und den Liberalismus.
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Während der McCarthy-Ära kam es zu regelrechten Hexenjagden gegen alles, was auch nur im Ansatz nach linkem Gedankengut aussah. Gewerkschaften hatten es genauso schwierig wie Filmemacher in Hollywood. Die Zeit der “Roten Gefahr” war auch die Zeit, in der Hollywood die schlimmste Zensur seiner Geschichte erfuhr. Nicht nur wurden Filmemacher mit angeblichen Verbindungen in die linke oder kommunistische Szene aus ihren Berufen vertrieben, auch die Themenauswahl im Kino wurde stark eingeschränkt.
All diese Dinge arbeitet Oppenheimer kritisch auf, indem er einen Betroffenen zum Hauptcharakter macht und diesen Film dabei als Biopic über den Erfinder der Atombombe verpackt, obwohl er soviel mehr ist. Es geht im Film nicht um die Atombombe, sondern um Oppenheimer und den Umgang der USA mit ihm. Und es geht um die Dekonstruktion angeblicher Werte, die dieses Land vertritt.
Oscarreife Leistung!
Es würde sich wohl lohnen, über die McCarth-Ära in Hollywood mal einen eigenen Artikel zu schreiben. Deswegen will ich es an dieser Stelle dabei belassen und zu erfreulicherem kommen: Den Schauspielern des Films!
Denn die sind durch die Bank fantastisch und viele von ihnen haben sicherlich eine Oscar-Nominierung verdient. Neben Hauptdarsteller Cilian Murphy, der Oppenheimer als brillianten, aber nicht unfehlbaren Wissenschaftler spielt, sind mir noch einige andere Darsteller positiv aufgefallen: Zum einen wäre da der fantastische Robert Downey Jr., der hier mal wieder zeigt, dass in ihm so viel mehr steckt als seine Marvel-Rollen des Iron Man vermuten lassen.
Er spielt einen korrupten Politiker, der im Laufe des Films zu einem genialen Bösewicht aufsteigt. Und apropos Bösewicht: Auch Jason Clarke in seiner Rolle des unnachgiebigen, ebenfalls korrupten Verhörers ist fantastisch! Und Matt Damon als General Leslie Groves hat mich mehr als überrascht, da ich ihn sonst aus ganz anderen Rollen kenne, in denen er mich bisher nie vollends überzeugt hat. Das hat sich mit Oppenheimer definitiv geändert.
Und selbst viele Nebenrollen haben es in sich. Benny Safdie als Edward Teller? Grandios! Alden Ehrenreich, den wir sonst nur aus einem der schlechtesten Star Wars Filme kennen, war ebenso überzeugend. Nur eine Sache hat mich gestört: Eigentlich sämtliche Frauenrollen bekommen in Oppenheimer nicht den Raum, den sie verdienen. Florence Pugh (Midsommar) wird als Geliebte inszeniert, die zwar die ein oder andere aufsehenerregende Nacktszene hat, aber ansonsten wie ein Fremdkörper wirkt, der im Film viel zu kurz kommt. Vielmehr wird sie hier komplett auf ihre Sexualität reduziert.
Und das gleiche kann man auch von der Ehefrau Oppenheimers sagen. Die wird von Emily Blunt gespielt, eine fähige Schauspielerin, die für Filme wie A Quiet Place bekannt wurde. Aber auch sie kommt hier leider viel zu kurz. Mir ist bewusst, dass ich mir hier ein wenig widerspreche, weil ich oben geschrieben habe, dass Oppenheimer nunmal ein Biopic über den Namensgeber ist und dass Nolan die damalige Zeit und ihren Umgang mit Frauen darstellen wollte.
Trotzdem komme ich zu dem Schluss, dass man, wenn man mit den Frauenfiguren so umgeht wie in Oppenheimer, sie lieber ganz weggelassen hätte. Dann hätten sie nicht wie Fremdkörper oder Sexobjekte gewirkt. Zur Handlung tragen sie ohnehin kaum etwas bei. Allerdings will ich an dieser Stelle auch klar betonen, dass wirklich sämtliche Schauspielerinnen und Schauspieler einen grandiosen Job gemacht haben und es sich allein dafür lohnt, in Oppenheimer zu gehen!
Horror, Musik und Dialoge
Es gibt aber noch viele andere Gründe für einen Kinobesuch. Einer davon ist der Score von Ludwig Göransson (Creed, Tenet, Black Panther), der sich nicht nur ins Trommelfell hämmert, sondern eigentlich zu 90% des Films im Hintergrund mitläuft. Und nicht nur das, er wird auf fast schon maschinelle Art dafür eingesetzt, den ganzen Film über Spannung aufzubauen. Er trommelt immer vor sich hin. Mal laut, mal leise, mal zugespitzt und mal ganz sanft.
Der Score und die Musik von Oppenheimer sind dazu da, das, was auf der Leinwand passiert, zu unterstreichen und gefühlvoll aufzunehmen. Und manchmal ist er auch gar nicht da, was dann wiederum zu ganz eigenen Momenten der Stille führt.
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Auch die Dialoge sind im Film dauerpräsent. Denn im Prinzip besteht Oppenheimer aus nichts anderem. Sie sind inszeniert wie Action-Szenen, unterstützt von einem hervorragenden Schnitt. Und ersetzen dadurch die großen Action-Momente, die man aus Nolan-Filmen sonst kennt. Aber auch wenn mal nur eine Person redet, kann man die Präsenz dieser im Kino spüren.
Gerade eine Szene ist mir da im Kopf geblieben, die so gefilmt ist wie ein Horrorfilm. Nachdem Oppenheimer erfährt, dass die Atombomben über Japan abgeworfen wurden, begibt er sich in den Hörsaal seiner Universität, um eine Rede zu halten. Nur um auf dem Weg dorthin von hämmerndem Lärm und schaurigen Fantasien darüber, wie seine Welt aus Radioaktivität aussieht, begleitet zu werden.
Zwischen Kammerspiel und Action-Film
Eine Sache, die ich oben auch schon angesprochen habe, ist der virulente Wechsel verschiedenster Genres in Oppenheimer. Und genau das will ich mit diesem Kapitel noch einmal hervorheben, weil ich selten einen Film gesehen habe, der so damit umgegangen ist und gleichzeitig auch noch so gut war.
Christopher Nolan gelingt es mit diesem Streifen, alle möglichen Genres zu vereinen, ohne dass irgendeines von ihnen zu kurz kommt oder falsch eingesetzt wird. Es gibt Momente, in denen ist Oppenheimer ein klassisches Biopic. Dann wiederum wechselt der Film in monumentale Action-Setpieces, deren Echtheit man aber immer erkennt (Nolan hat für diesen Film kein CGI verwendet). Und in wiederum anderen Momenten erinnert er an ein waschechtes Kammerspiel mit einer fantastischen Besetzung aus Hollywood-Schauspielern.
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Gleichzeitig gelingt es Nolan auch, die Kamera so einzusetzen, dass sie dem jeweiligen Genre entspricht. Mal bekommen wir Nahaufnahmen von Oppenheimers Gesicht, die seinen Zwiespalt, sein Dilemma repräsentieren sollen. Dann wiederum zeigt uns der Film wunderschöne Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die die vermeintliche Objektivität einer Szene unterstreichen sollen. Mit solchen Mitteln wird den ganzen Film über gearbeitet.
Dabei ist Oppenheimer aber so weit weg von einem klassischen Nolan-Film, wie es bisher noch kein anderer vom Star-Regisseur war. In den letzten Jahren hat er sich v.a. mit Dunkirk weit hinaus gewagt aus seinen altbekannten Mustern, ist dann aber mit Tenet wieder genau dahin zurückgekehrt. Nur um uns jetzt mit Oppenheimer etwas aufzutischen, was nur noch in Ansätzen als “Klassischer Nolan” bezeichnet werden kann. Und genau durch diese Tatsache vielleicht zu seinem Meisterstück und einem Meisterwerk wurde.
Fazit & Bewertung
Ich habe Oppenheimer letzten Sonntag im Kino gesehen. Normalerweise hätte ich diese Kritik noch am selben Abend geschrieben, damit sie möglichst zügig erscheinen kann. Nicht so bei diesem Film. Oppenheimer hat mir lange zu denken gegeben. Ich war, genauso wie der Hauptcharakter des Films, im Zwiespalt. Denn ich liebe Christopher Nolan. Und ich hasse Christopher Nolan. In mir leben zwei Geister, die den Regisseur auf vollkommen unterschiedliche Art und Weise betrachten.
Denn einerseits liebe ich seine Filme, andererseits hasse ich seine Plots und vermeintliche Komplexität. Denn oftmals sind seine Filme nicht so kompliziert, wie er sie uns verkaufen möchte. Und manchmal funktioniert das dann trotzdem sehr gut, wie in Interstellar, wo neben der oberflächlichen Handlung ja auch nach so viel mehr gefragt werden kann. Und manchmal funktioniert es eben gar nicht, wie in Tenet.
Dass Nolan sich mit Oppenheimer jetzt so weit weg wagt von seiner klassischen Erzählstruktur, ist erst einmal lobenswert. Dieser andersartige Stil, den man von ihm nicht gewohnt ist, ist aber vor allem der Tatsache geschuldet, dass der vorliegende Film eben ein Biopic ist. Und deswegen gar nicht nach klassischer Nolan-Art inszeniert werden konnte. Deswegen habe ich mich lange gefragt: Hätte der Film so viel anders ausgesehen, wenn er nicht von Nolan käme? Ist die Handschrift des Regisseurs hier noch klar zu erkennen?
Ich musste also erst einmal darüber schlafen und viel nachdenken. Irgendwann habe ich meine Gedanken dann geordnet und bin zu dem Schluss gekommen: Oppenheimer ist sehr wohl ein Film, den nur ein Regisseur so machen kann, wie er ist. Und dieser Regisseur heißt Christopher Nolan. Nur er schafft es, dass in ein dreistündiges Biopic Millionen von Menschen strömen. Dass darüber dann wochenlang gesprochen wird und dass selbst in den kleinsten Nebenrollen große Stars mitspielen. Nur er schafft es, den Begriff “Biopic” so weit zu denen, dass er gleich mehrere Genres darin vermischt. Und nur Nolan schafft es, mich so von einer Welt im eigentlichen Sinne und einer Gedankenwelt im speziellen Sinne so zu faszinieren, dass die drei Stunden im Kino wie im Flug vergangen sind.
Also, um die ganz einfache Frage zu beantworten, ob sich ein Kinobesuch für Oppenheimer lohnt: JA! Definitiv! Auf jeden Fall! Unter allen Umständen! Vielleicht sogar ein zweiter, dritter oder vierter! Mit diesem Film hat sich Nolan selbst übertroffen und sein erstes echtes, zeitloses Meisterwerk erschaffen. Ein weiteres (Fast)-Meisterwerk ist auch DUNE. Meine Kritik zum Film von Denis Villeneuve findet ihr hier.
Oppenheimer ist Christopher Nolans Meisterstück. Mit diesem Film hat sich der Regisseur endgültig im Olymp des Blockbuster-Kinos verewigt. Fantastische Schauspieler, eine eindrückliche Inszenierung, unglaubliches Spektakel und ein virtuoses Springen zwischen verschiedenen Genres machen Oppenheimer zum Must-See. Seine Dekonstruktion gesellschaftspolitischer Ereignisse machen ihn zu diskussionswürdiger Kunst.
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Bewertung:
5
Oppenheimer startet am 20. Juli 2023 in den deutschen Kinos.
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Wieder mal eine sehr auführliche und schön zu lesende Kritik! Gerade den Punkt mit den Genre-Wechseln den du ansprichst fand ich eher schwierig. Das fühlte sich für mich nach einem zerhackstückelten Werk an, bei dem er sich nicht sicher war, welche Geschichte er denn jetzt erzählen will. Klar ist es Nolans Art, kompliziert zu erzählen, bringt mir hier aber mehr Durcheinander als Finesse rein. Den Zwiespalt von Oppenheimer fand ich auch sehr gut dargestellt. Wie… Weiterlesen »