TÁR Kritik: Dieser Film hat alle Preise der Welt verdient!

Der einmalige und gleichzeitig so faszinierende Film Tár erzählt von der gleichnamigen Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters, die von einer brillianten Cate Blanchett gespielt wird. Aber was kann der neue Streifen von Todd Field, der bei den diesjährigen Oscars zu den Favoriten zählt? In meiner Kritik findet ihr es heraus!

Lesezeit: ca. 7 Minuten

Um was geht’s?

Lydia Tár (Cate Blanchett) ist die erste weibliche Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters. Sie wird weltweit gefeiert und steht mit den Berliner Philharmonikern vor einem außergewöhnlichen musikalischen Erfolg, für den nicht mehr viel fehlt. Coronabedingt konnte das Orchester monatelang nicht richtig arbeiten, jetzt soll der letzte Feinschliff erfolgen.

Doch während die letzten Proben laufen, offenbaren sich immer mehr Risse in der Welt von Tár. Ihre Ehe mit ihrer ersten Violinistin (Nina Hoss) läuft längst nicht mehr so gut wie früher und der Selbstmord einer einst von ihr geförderten, dann aber fallen gelassenen Musikerin lässt sie panisch alle Beweise für einen Kontakt mit dieser löschen. Dann tritt noch eine junge Cellistin (Sophie Kauer) in ihr Leben, die Tár regelrecht fasziniert.

Was zunächst wie ein unglaublich spezieller, nischiger Film für ein Publikum, das von klassischer Musik nicht genug bekommen kann, klingt, entpuppt sich als einer der besten Filme des Jahres. Ich konnte den Film schon im Dezember sehen und prompt landete er auf meiner Top 10 Liste aus dem letzten Jahr! Doch warum genau ist der Oscar-Favorit so gut? In meiner Kritik findet ihr es heraus!


Filmkritik zu Tár (2022)

Einmal im Jahr, meist eher Ende Januar oder Anfang Februar, ist für Filmliebhaber eine interessante, aber auch irgendwie frustrierende Zeit: Es ist Oscar-Season. Bevor die Goldjungen in Los Angeles verliehen werden, laufen die Favoriten auf zahlreichen andren Filmfestivals und Preisverleihungen hoch und runter.

Manche haben sich den Platz unter den ganz großen mehr als nur verdient. Bei anderen wundert man sich jedoch eher, was die überhaupt unter den Besten der Besten zu suchen haben. Auch Tár ist so eine Sache: Auf der einen Seite wird er von vielen amerikanischen Kollegen in den Himmel gelobt, auf der anderen Seite habe ich mich lange gefragt, wie gut ein Film über eine fiktive Ausnahme-Dirigentin und ihre Probleme schon sein kann.

Bis ich den Film dann letzten Dezember endlich sehen konnte. Und ich wurde weggeblasen! Obwohl der Streifen geschlagene zwei Stunden und 38 Minuten dauert, habe ich mich keine einzige davon gelangweilt. Und das liegt weniger an der Inszenierung selbst, sondern viel mehr an einer tollen Cate Blanchett und einigen wichtigen Themen, denen sich Todd Field hier auf ganz spezielle Weise annimmt.

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Wer ist eigentlich Todd Field?

Tár Film Kritik 2023

Wenn euch der Name Todd Field erstmal nichts sagt, ist das kein Wunder, denn seit 2006 hat er bei keinem Film mehr Regie geführt. Doch eigentlich ist Field ein echt interessanter Zeitgenosse, weil er viel von seinen Werken hält und nur das realisiert, was für ihn 100% qualitativ hochwertig erscheint.

Angefangen mit Kurzfilmen und ersten Gehversuchen als Schauspieler drehte er im Jahr 2001 innerhalb weniger Wochen das Independent-Drama In the Bedroom mit renommierten Schauspielern wie Sissy Spacek oder Tom Wilkinson. Und prompt konnte er damit ganze fünf Oscar-Nominierungen einheimsen, unter anderem als bester Film.

Für ein Erstlingswerk nicht schlecht. Doch auch sein zweiter Langfilm Little Children war von Erfolg verwöhnt. Abermals konnte er die Academy überzeugen, die ihn mit einem Oscar fürs Drehbuch belohnten. Und nun kommt endlich – nach ganzen 17 Jahren – sein dritter Film in die deutschen Kinos.

Abermals hat er sich dafür nicht vom Weg abbringen lassen und das Drehbuch ganz auf Cate Blanchett zugeschnitten. Angeblich hätte er das gesamte Skript sogar wieder verworfen, hätte die Schauspielerin nicht zugesagt. Aber das hat sie glücklicherweise und entstanden ist ein weiteres Mal ein fantastischer, oscar-würdiger Film! Aber der Reihe nach…

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Blanchett in Höchstform

Lydia Tár hat eigentlich alles erreicht: Nicht nur gilt sie als eine der talentiertesten Dirigentinnen der Welt und spielt an einem der renommiertesten Orchester der Welt mit den Berliner Philharmonikern. Sie hat es sogar geschafft, für ihre Arbeit mit dem sogenannten EGOT geehrt zu werden.

Der bezeichnet in der Szene den Gewinn der wichtigsten Preise: Sie hat jeweils mindestens einen Emmy, Grammy, Oscar und Tony gewinnen können. Doch der Erfolg färbt nicht nur positiv auf das Privatleben von Tár ab: Während die Ehe zwischen ihr und ihrer Ersten Violinistin bröckelt, steht sie im Verdacht, für den Selbstmord einer jungen Frau, die sie jahrelang gefördert hat, mitverantwortlich zu sein.

Um die dreidimensionale Protagonistin zu spielen, läuft Cate Blanchett für Todd Fields neusten Filmen zu wahren Höchstleistungen auf. Obwohl es sich bei der umstrittenen Dirigentin um einen rein fiktiven Charakter handelt, spielt Blanchett ihn hier mit einer solchen Brillianz, dass man glatt denken könnte, wir hätten es mit einer versteckten Kamera zu tun. Und die würde heimlich das Leben eines echten, tiefgründigen, nachdenklichen und vor allem dreidimensionalen Menschen mitfilmen.

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Nur oberflächlich ein Film über Cancel-Culture

Tár Kino Deutschland

Aber nicht nur Blanchett selbst sollte man für diesen Eindruck loben, auch das Drehbuch ist prädestiniert, solche Eindrücke zu erwecken:

Wenn wir etwa am Anfang des Films Lydia Tár in ihrem Element erleben und sie gerade dabei ist, einen schwarzen Bewerber für ihr Orchester, der sich weigert, die Stücke von weißen Männern zu spielen, zu belehren, wirkt das nie gestellt. Tár ist aufbrausend und echt.

Und plötzlich wird der vermeintliche Held des Films zum Antagonisten. Denn allein schon diese Szene mit dem BiPOC-Musiker wirkt wie live aus einer Twitter-Diskussion geschnitten, in der sich Tár wie ein verachtenswerter User verhält, der es darauf abgesehen hat, Minderheiten fertig zu machen.

Aber auch sonst wird uns Tár hier nicht als als einfühlsame oder gar sentimentale Person präsentiert. Vielmehr ist sie zu den meisten Menschen in ihrer Umgebung kalt und herabwürdigend. Ob das nun der schwarze Bewerber fürs Orchester, ihre eigene Ehefrau oder sogar die Nachbarin von nebenan ist, ist ihr dabei völlig egal.

Und obwohl Todd Field ganz offensichtlich auch Themen wie #MeToo oder die angeblich allgegenwärtige Cancel-Culture im Internet ansprechen will, gelingt ihm etwas viel genialeres: Er kreiert eine Protagonistin, die zwar beide Themen verkörpert, dabei aber trotzdem noch ein Mensch und für uns als Zuschauer nachvollziehbar bleibt.

Zwar könnte man die Rolle von Blanchett auch gegenteilig interpretieren, etwa als langsame Verwandlung des Protagonisten in den Antagonisten des Films. Für mich war es allerdings viel spannender, Tár in all ihrer Kraft – und manchmal auch kraftlos – zu erleben, die zwar für all das steht, was in einer von Beziehungsstrukturen, Einschmeicheleien und Vetternwirtschaft geprägten Gesellschaft- und Kulturszene schief läuft.

Die aber trotzdem ein Mensch bleibt, die uns vor Augen führt, mit welchen Problemen sie sich konfrontiert sieht – die zwar nie ihr Verhalten rechtfertigen – sie aber in gewisser Weise als Opfer des Systems klassifizieren wollen.

Besonders deutlich wird das an vielen Szenen, in denen wir Lydia Tár ganz einfach in ihrem Alltag begleiten. Dann wird die Cancel Culture für einen Moment ausgeblendet und wir erleben sie etwa, wie schon erwähnt, als herablassende Arroganz mit ihrer Nachbarin oder beim Joggen im Park.

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Nicht nur für Fans der klassischen Musik!

Cate Blanchett in Tár

Obwohl Tár oft als Musikfilm beschrieben wird, ist er das nur oberflächlich. Viel mehr könnte man ihn wohl als gesellschaftspolitisches Drama und Charakterstudie bezeichnen. Beides zu vereinen schafft Todd Field mit einem hervorragenden Drehbuch, dass mich auch die ruhigen, innigen Momente hat genießen lassen.

Da vergisst man dann auch ganz schnell, dass der Film fast drei Stunden lang läuft! Eine Geschichte, die man durchaus auch schneller hätte erzählen können, wird hier aufgebauscht und fast übermenschlich groß inszeniert. Nur um uns in den intimen Momenten dann wieder dermaßen einzulullen, dass man Zeit und Raum fast vergisst.

Und ja, für manchen mag all das zu viel oder zu wenig sein, gerade auch, weil man im Film nie einen roten Faden erkennt, wohin das Drehbuch jetzt wirklich will. Aber auch das muss ja nichts Schlechtes sein, oder? Man muss eben nur wissen, worauf man sich einlässt!

An manchen Stellen ist der Film gar ein wilder Genremix, wenn Tár etwa beim Joggen plötzlich Schreie hört oder sie ein wild gewordener Hund verfolgt. Bildet sie sich diese Momente nur ein oder sind sie echt? Wenn man es schafft, in einen Film über klassische Musik Horrorelemente einzustreuen, sagt das viel über die Qualität eines Todd Field aus, nicht wahr?

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Nein, ihr müsst nicht alles verstehen

Wer bei Begriffen wie „den Visconti aus dem Kopf bekommen“ nur Bahnhof versteht und einer einer gewissen Hildur Guonadottir an ein Mittagsmenü bei Ikea denkt, kann ich übrigens Entwarnung geben: Ihr müsst keine Experten in Sachen klassischer Musik sein, um Spaß mit dem Film zu haben!

Zwar hat Todd Field für Tár wohl sehr genau recherchiert, wie man mit Begriffen aus der Orchester-Szene um sich schmeißt, dass heißt aber nicht, dass die Gespräche ohne solch ein Wissen unverständlich wären. Vielmehr zeigt sich durch diese eine weitere Stärke des Films: seine fantastischen Dialoge!

Und die spricht natürlich nicht nur Cate Blanchett, sondern auch ihre Kollegen, wie etwa die fantastische Sophie Kauer, die auf die Avancen von Tár, mit denen sie wohl schon so manche junge Frau verführt hat, überhaupt nicht eingeht. Todd Field schreibt hier grandiose, authentische Dialoge, die mich überzeugt haben.


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Ach, und übrigens: Auch ich kenne mich mit klassischer Musik mal so überhaupt nicht aus und bis auf die ganz Großen hab ich von den allermeisten Künstlern auch noch nie etwas gehört. Aber beim Schreiben dieser Kritik hab ich einfach mal gegoogelt, und siehe da: Die angesprochene Hildur Guonadottir etwa ist die Komponistin aus dem Oscar-nominierten Film JOKER mit Joaquin Phoenix.

Und Visconti hat die Filmmusik zu „Tod in Venedig“ gemacht, in dem Anleihen aus Lydia Társ neuem Stück zu finden sind, in dem es ebenfalls um Mahlers fünfte Symphonie geht.

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Fazit & Bewertung

Ganz ehrlich: Ich hätte nicht gedacht, dass ich noch so viele Wörter für diese Kritik zusammen kriege! Denn seit ich Tár gesehen habe, sind mittlerweile fast drei Monate vergangen. Und wie ich nun mal so bin, hab ich die Kritik nicht gleich geschrieben, nachdem ich den Film gesehen habe, sondern sie so lange vor mir hergeschoben, bis der Kinostart in Deutschland vor der Tür stand.

Und dann dachte ich, als ich mich an diese Kritik gesetzt habe, dass ich heute wohl gezwungen bin, mich etwas kürzer zu halten. Ganz einfach schon deswegen, weil man nach drei Monaten meist nicht mehr viel Erinnerungen an einen Film hat.

Aber falsch gedacht! Scheinbar hat Tár einen solchen Eindruck in mir hinterlassen, dass es mir überhaupt nicht schwer viel, fast 2000 Wörter über Todd Fields neusten Streich zu schreiben. Und genau deswegen wird das auch mein Fazit für den Film: 2000 Wörter nach drei Monaten!

Genießt den Film im Kino, wenn ihr es noch nicht getan habt! Und schaut auch gerne mal wieder auf filmfreitag.de vorbei, spätestens dann, wenn die Oscars verliehen werden. Denn da hat Tár reelle Chancen, einen der Goldjungen abzustauben. Schließlich ist man für ganze sechs Stück nominiert!


Tár ist ein beeindruckend fesselnder Film, der mich auch nach Tagen, Wochen und Monaten nicht losgelassen hat. Obwohl Todd Field ein herausragendes Drehbuch und fantastische Dialoge beigesteuert hat, hinterlässt doch Lydia Tár in Form von Cate Blanchett den größten Eindruck! Auf der einen Seite ein Monster, ein cancelbarer Bösewicht. Auf der anderen Seite eine grandiose Künstlerin, verletzliche Frau und strenge Mutter. Die Facetten eines echten Lebens.

Bewertung:

4,5/5


Tár startet am 02. März 2023 in den deutschen Kinos.

© Copyright aller Bilder bei Universal Studios/ Focus Features.

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Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

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2 Kommentare
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Kolitzus
Kolitzus
11. April 2023 22:43

Für mich ein ganz schlechter Film mit einer eintönigen Hauptfigur ohne jeglichen emotionalen Zugang oder Veränderung, Entwicklung oder Überraschung. Story von Beginn an langweilig und vorgezeichnet, völlig überdrehtes Ende. Schlechte Witze, schlechte Dialoge, schlechte Schnitte, banale Einblendungen von „Horror“, also Hund, Metronom oder sonstiges, alles eher komisch als überzeugend. Anspielungen auf die Musik überflüssig, haben auch nichts mit der Story zu tun. Könnte viele Dinge aufzählen, die diesen Film so langweilig machen. Die Fixierung auf… Weiterlesen »