The French Dispatch Kritik: Wes Andersons Liebeserklärung an sich selbst

The French Dispatch erzählt drei Geschichten über den Journalismus. Er ist Wes Andersons ambitioniertester, aber gleichzeitig auch emotionslosester Film.

Lesezeit: ca. 6 Minuten

Um was geht’s?

Der Verleger und Chefredakteur des French Dispatch, eines fiktiven Magazins, stirbt und seine Angestellten beschließen ihm zu Ehren die besten Geschichten der letzten zehn Jahre in einer Gedenkausgabe nochmals zu veröffentlichen. Dabei erinnern sie sich an drei wahnwitzige, schrullige und fantastische Storys des French Dispatch, die im Laufe des Films erzählt werden.

Eine handelt von einem begabten Künstler, der zur lebenslangen Haft verurteilt ist. Eine von den Begebenheiten während einer Studentenrevolte. Und eine von einer Entführung, die ganz zufällig vom Küchenchef aufgelöst wird. Damit erschafft Wes Anderson seinen ersten Anthology-Film und gleichzeitig womöglich auch seinen besten Film insgesamt.


Filmkritik zu The French Dispatch

Die drei Geschichten, die der Film erzählt, so unterschiedlich sie auch sind, vereint doch eine Sache: Sie sind alle drei großartig! In der Ersten begleiten wir einen zur lebenslangen Haft verurteilten Mann (Benicio del Torro), der seine künstlerische Ader entdeckt. Dabei steht ihm die großartige Lea Seydoux (James Bond, Mission Impossible) als Modell zur Seite. Zwischen den beiden entwickelt sich eine besondere Liebesbeziehung, die der Film auf witzige Art und Weise auserzählt. Gleichzeitig will uns dieser Kurzfilm auch die Perversitäten der modernen Kunstbranche vor Augen halten.

Im zweiten Film erleben wir die Wirren einer studentischen Revolte aus der Sicht eines Studenten (Timothee Chalamet) und einer Politikjournalistin (Frances McDormand), die zwischen Kommunisten, Militaristen und Idealisten auch noch sich selbst finden müssen. Auch hier entspinnt sich ein faszinierender Kurzfilm, der neben Fragen der Selbstfindung in einer Zeit der Orientierungslosigkeit auch Militärkritik, umstrittene Liebesbeziehungen und absurde Schachpartien mit einwebt.

Im dritten und letzten Film begleiten wir einen Journalisten (Jeffrey Wright) auf einer Reise, die er so nicht erwartet hat. Eigentlich wollte er nämlich den stadtbekannten Kochmeister für ein Potrait im French Dispatch näher kennenlernen. Doch dann wird er Zeuge einer Entführung, die erst durch den sagenumwobenen Koch höchstpersönlich entschärft werden kann. Auch hier erleben wir eine abstruse Geschichte, die aber unglaublich viel Spaß macht.

Wes Anderson weiß, wie er seine Geschichten erzählen muss. Sie mögen nicht sonderlich tief sein, keine zweite Ebene aufmachen oder eine komplexe Handlung vermitteln. Aber sie sind kreativ. Es macht Spaß, sie zu erleben. Ganz besondere, wenn sämtliche Schauspieler, die Anderson für diesen Film zusammengekarrt hat, fantastisch spielen. Ich möchte nicht in Lobeshymnen ausbrechen, doch der Cast von The French Dispatch ist wirklich beeindruckend. Hier spielt gefühlt die gesamte Hollywood-Elite eine Rolle, und sei sie noch so klein.

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Die Abstinenz von Emotion

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The French Dispatch erzählt als Anthology-Film drei Geschichten über bemerkenswerte Journalisten und ihre größten Erfolge. (Quelle: Disney)

Ein kleines Problem haben die drei Geschichten dann aber doch: Sie lassen kaum Emotionen zu. War man beispielsweise bei Moonrise Kingdom (2012) durch die einzigartige Coming-Of-Age-Erzählung fast zu Tränen gerührt und konnte man bei The Grand Budapest Hotel (2014) mit jedem der skurrilen Charaktere mitfiebern, ist das hier nicht der Fall. Durch die Eigenart als Anthology-Film schafft The French Dispatch seine Emotionslosigkeit selbst. Und sie wird durch die drei Geschichten leider kaum ausgeglichen. Das fällt bei der ersten Geschichte noch kaum negativ auf, zieht sich dann aber vor allem durch die zweite und dritte Geschichte.

Interessant ist, dass ich nicht weiß, wie ich diese Abwesenheit von Emotion bewerten soll. Einerseits sind das nun einmal drei Kurzfilme in einem größeren Film. Die Eigenart von Anthology-Filmen ist es, dass der emotionale Aspekt oft auf der Strecke bleibt. Anderseits schaffen es auch viele Kurzfilme gerade durch ihre Kürze, mit Emotionen zu begeistern. Das hat man z.B. bei „if anything happens, i love you” oder erst kürzlich bei All Too Well gesehen. Und wiederum andererseits ist das Ziel der Filme bei The French Dispatch kaum, Emotionen zu wecken. Das ist zumindest mein Eindruck.

Vielmehr unterhält der Film durch seine geschickt platzierten Pointen als Komödie. Es ist fast schon unglaublich, wie witzig The French Dispatch ist. Und noch unglaublicher ist es, wie er diese Witzigkeit erschafft. Nicht etwa durch das Aufsagen von One-Linern, wie es bei vielen modernen Blockbustern der Fall ist. Nein, bei den Witzen dieses Films ist der Kontext der Geschichte kombiniert mit einem meisterhaften Timing der Erfolgsgarant. Das ist erfrischend und besser als 99 Prozent aller selbsternannten Komödien, die sonst so auf der Kinoleinwand laufen.

Auch die Struktur von The French Dispatch ist faszinierend. Er ist, wie schon gesagt, in drei, zählt man die Handlung in der Gegenwart mit, vier Teile aufgeteilt. Alle diese Teile entfalten sich in Form von kammerspielähnlichen Szenen, die für sich stehen, aber gleichzeitig auch im größeren Kontext immer eine Ode an den Journalismus darstellen. Alle drei Geschichten erzählen von spannenden Persönlichkeiten, die von Journalisten begleitet werden, die für das Magazin The French Dispatch auch gerne mal die ein oder andere Mühe auf sich nehmen, dabei aber nie ihre Prinzipien verraten und das Geschehen mit ihrer eigenen Meinung kommentieren. Wie Journalismus eben sein sollte: Leidenschaftlich, integer, aber eben auch sachlich.

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Wes Anderson in Höchstform

Wer schon mal einen Wes Anderson-Film geschaut hat, der wird den Stil des Regisseurs sehr schnell entweder lieben oder hassen gelernt haben. Ich habe ihn lieben gelernt. Und The French Dispatch ist sozusagen Andersons Liebeserklärung an sich selbst und seine Fans. Der unvergleichliche Stil des Meisters trumpft in The French Dispatch zu neuen Höchstformen auf. Die Bilder brennen sich in die Netzhaut und sind schon jetzt Kult. Der schnelle Mix aus Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Farbbildern, einmal diesem Seitenverhältnis und dann wieder einem anderen, die eingestreuten Animationssequenzen, all das zeichnet Wes Anderson und seine Filme aus.


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Überall bewegt sich etwas, manchmal gleich das ganze Set. Noch sind wir im Haus und schauen den Charakteren über die Schulter, im nächsten Moment gibt es eine Kamerafahrt, die das Haus im Querschnitt zeigt. Nicht nur Anderson hat hier mit seinem feinen Gefühl für Schnitt, Timing und Bildkomposition ein Meisterwerk geschaffen. Auch der Kameramann Robert Yeoman leistet ganze Arbeit. Und natürlich ist auch der ganze Cast, wie ich oben schon geschrieben habe, perfekt.

Man fragt sich ja schon, wie Anderson mit einem vergleichsweise geringem Budget von gerade einmal 25 Millionen Dollar Schauspieler wie Benicio del Torro, Lea Seydoux, Adrien Brody, Tilda Swinton (kleine, aber feine Rolle!), Timothee Chalamet, Frances McDormand und nicht zuletzt Bill Murray vereint. Übrigens: Ich habe bei Weitem nicht alle Schauspieler, die mitspielen, aufgezählt. Denn es macht unglaublich Spaß, selbst nach bekannten Gesichtern im Film Ausschau zu halten. Sogar die kleinsten Rollen in The French Dispatch sind nämlich mit echten Hollywood-Stars besetzt.

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Fazit & Bewertung

Letztendlich stellt sich bei diesem Film nur eine Frage, um eine Empfehlung aussprechen zu können: Erwartet man eine komplexe, vielschichtige Handlung? Wenn man darauf verzichten kann, dann spielt The French Dispatch alle seine Stärken aus. Ein unglaublicher Cast weiß mit schauspielerischen Meisterleistungen zu überzeugen. Der Regisseur versteht sich auf das perfekte Timing, die wunderschöne und erfrischende Bildkomposition und die Auswahl eines guten Soundtracks. Und die Geschichten sind zwar wenig komplex, dafür aber kreativ und machen Spaß.

The French Dispatch ist ein Kunstwerk, dass nicht jedem gefallen wird. Aber wem es gefällt, der wird nicht genug bekommen können.

Ein weiteres Beinahe-Meisterwerk ist auch DUNE. Meine Kritik dazu gibt’s hier. Auch für Serienfans hat auf filmfreitag.de jede Menge Material, z.B. das Ranking mit den besten Staffeln von Game of Thrones.

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© Copyright aller Bilder bei Searchlight Pictures.

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Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

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Torsten Peters
Torsten Peters
7. Februar 2023 15:44

Wenn Emotionen fehlen, wie kann es dann sein bester Film sein? „Moonrise Kingdom“ zum Beispiel hast du ja schon genannt. Oder „Grand Budapest Hotel“. Und natürlich seine frühen Meisterwerke „Die Tiefseetaucher“, „Die Royal Tenenbaums“ oder auch „Darjeeling Limited“ haben zumindest bei mir alle starke Emotionen ausgelöst, auch wenn die Inszenierung sich sehr schnell gleich anfühlte. Allerdings kenne ich außer Stanley Kubrick, David Fincher und Jean-Pierre Jeunet keine Regisseure, die derart detailverliebt arbeiten. Das alleine macht… Weiterlesen »

Mahmud Ghazni
Mahmud Ghazni
15. November 2021 0:10

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