Wie The Last of Us 2 mein Verständnis von Videospielen verändert hat

Anlässlich des bevorstehenden Release der HBO-Serie will ich heute nochmal einen Blick auf eines meiner Lieblingsspiele werfen: The Last of Us 2. Vor gut zwei Jahren hat das nämlich für ordentlich Wirbel gesorgt: Nachdem wir im ersten Teil noch Joel als Hauptfigur gespielt haben, übernehmen wir im zweiten Teil die Rolle von Ellie und – jetzt kommt das Besondere – auch ihrer Gegenspielerin Abby. In diesem Special möchte ich euch verraten, wie das Spiel mein Verständnis von Videospielen verändert hat und warum ein Perspektivwechsel immer gut ist.

Achtung: Hier kommt es zu Spoilern zu The Last of Us und The Last of Us 2!

Einführung

Das Videospiel The Last of Us: Part 2 hat zum Release für ordentlich Wirbel gesorgt: In der ersten Hälfte des Spiels aus dem Hause Naughty Dog übernehmen wir als Spieler die Kontrolle über Ellie, die man schon aus dem ersten Teil als Sidekick und emotionaler Anker des damaligen Protagonisten, Joel, kennt. Im zweiten Teil ist Ellie nun die Heldin, die gleich zu Beginn die Ermordung von Joel miterlebt und sich daraufhin auf einen blutigen Rachefeldzug begibt. 

Doch in der zweiten Hälfte des Spiels findet ein Perspektivwechsel statt: Nun spielt man als die vermeintliche Antagonistin von Ellie. Abbys Abschnitt ist dabei genauso lang wie der von Ellie.

Dieser Perspektivwechsel ist ungewöhnlich: Meistens erleben wir eine Geschichte aus der Perspektive eines definierten Helden, der als Identifikationsfigur dient und uns in eine Geschichte zieht. Dabei gibt es meist eine klare Grenze zwischen Gut und Böse. In The Last of Us 2 wird damit gebrochen. Das Spiel erzählt ein und dieselbe Geschichte, aber aus zwei Perspektiven.

Anhand von drei Schlüsselszenen will ich diese Erzählweise kritisch einordnen. Denn es stellen sich einige Fragen: Was will das Spiel dem Spieler vermitteln? Wie will es das vermitteln? Und noch viel wichtiger: Schafft das Spiel diese Vermittlung? Finden wir es heraus!


Schlüsselszene 1: Das Krankenhaus

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Schon nach kurzer Spielzeit meucheln wir uns mit Ellie durch ein Krankenhaus voller WLF-Mitglieder, denen auch Nora (links) und die spätere Protagonistin Abby angehören.

Zu Beginn des Spiels steuert der Spieler Ellie. Als sie zusammen mit ihrer Freundin in Seattle angekommen und die ersten Kämpfe überlebt hat, wird Diana verletzt und Ellie will Medikamente im nahegelegenen Krankenhaus besorgen.

Doch dieses ist voller WLF-Leuten, also Mitgliedern der vermeintlichen Gegner, die es als Außenposten verwenden. Um sich ihnen zu entledigen, tötet sie jedes einzelne Mitglied der Organisation, der, wie der Spieler später erfährt, auch Abby angehört. Am Ende des Spielabschnitts foltert Ellie Nora, um den Aufenthaltsort von Abby zu erfahren.

Am gleichen Ort bewegen wir uns auch in der zweiten Hälfte des Spiels. Zusammen mit Abby erleben wir das Krankenhaus als Ort der Sicherheit und Zusammenkunft. Wir sprechen mit einigen Mitgliedern und lernen sie mit neuen Augen kennen.

Nicht nur wissen wir als Abby, wie wichtig der Job ihrer befreundeten Verbündeten dort ist. Wir lernen auch Nora kennen, die kurz darauf von Ellie ermordet wird. Nora hat bei der WLF einen wichtigen Job: Sie versorgt die Kranken und Schwachen. Schon hier wird also deutlich: The Last of Us 2 will dem Spieler aufzeigen, wie sich der Blick auf eine Situation ändern kann, wenn man sie aus der entgegengesetzten Perspektive erlebt.

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Schlüsselszene 2: Joels Tod

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Wie sich später herausstellt, hat Abby nachvollziehbare Motive für den Mord an Joel: Er hat ihren Vater in dieser Szene aus dem ersten Teil getötet.

Ähnliches zeigt sich in einem Schlüsselmoment am Anfang, der durch den Kontext, den wir im späteren Spielverlauf hinzugewinnen, ganz anders wirkt: Abby tötet Joel, den emotionalen Ankerpunkt des ersten Spiels, auf brutalste Art und Weise.

Doch als wir später in einem Rückblick mit der jungen Abby spielen, erfahren wir, wieso sie das alles getan hat: Joel hat ihren Vater und viele Mitglieder ihrer vorherigen Gruppe getötet. Und ihr Vater war nicht irgendjemand, sondern der Doktor, der Ellie im ersten Teil opfern will, um ein Heilmittel gegen die Pilzsporen zu entwickeln.

Und hier lauert eine Gefahr, die entsteht, wenn man einen vermeintlichen Antagonisten nicht nur zum zweiten Protagonisten, sondern sogar zum Helden seiner eigenen Geschichte macht:  Das Spiel möchte uns die Message vermitteln, dass es auf beiden Seiten Heldenfiguren gibt, die aber nie einen reinen moralischen Kompass haben. Bei vielen Spielern kommt diese Message aber nicht an. Vielmehr wird oft der Eindruck provoziert, man müsste sich moralisch für eine der beiden Seiten entscheiden. Das das aber nicht zwingend sein muss, zeigt Naughty Dog mit The Last of Us Part 2.

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Schlüsselszene 3: Das Theater

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Beim Kampf im Theater will der Spieler eigentlich gar nichts tun, muss aber gegen Ellie kämpfen.

Dies gipfelt dann im emotionalen Höhepunkt der Geschichte: Im Theater treffen Abby und Ellie aufeinander. Die Spieler wissen sowohl um die Hintergrundgeschichte und Motivation von Ellie, als auch von Abby. Das besondere Jetzt: Wir kämpfen als Abby gegen Ellie. Oder besser gesagt: Wir versuchen, uns von Ellie nicht töten zu lassen. Denn diese ist gnadenlos darauf aus, Rache an der Mörderin ihrer Vaterfigur zu nehmen. Der Endgegner des Spielers ist eigentlich der Held der ersten Hälfte der Geschichte.

Aber hier hat der Spieler letztendlich keine Wahl: Weder Ellie noch Abby können sich gegenseitig in diesem Spielabschnitt töten.

Nicht nur in dieser Szene, sondern im gesamten Spielverlauf werden wir also mehrere Male vor unmögliche Entscheidungen gestellt: Im Theater wollen wir uns nicht entscheiden, wen wir unsere Sympathie schenken. Weil wir es nicht können! Beide Figuren werden von der Geschichte nachvollziehbar aufgebaut und stellen sich eben schließlich als Menschen mit vielen Schwächen heraus. Der Spieler erlebt nicht einen Helden, sondern zwei Antihelden.

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Der Abstieg der Heldenfigur

Was sagen die drei oben genannten Schlüsselszenen also über The Last of Us 2 aus? Zum einen, dass Heldenfiguren für den Spieler oft das sind, was er in sie hineinprojiziert. Im ersten Teil ist Ellie ein unschuldiges Mädchen, dass nur zufällig in eine viel größere Handlung geworfen wird. In der ersten Hälfte des zweiten Teils folgen wir Ellie auf ihrem Rachefeldzug.

Auch da gibt es schon erste moralisch fragwürdige Entscheidungen, die Ellie trifft. Aber der „Abstieg der Heldenfigur“ zur Antagonistin der Gegenseite beginnt erst mit der Übernahme von Abby als spielbaren Charakter.


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Zum anderen verdeutlicht das Nauthy-Dog-Spiel aber auch, wie wenig es ein Videospiel sein möchte. Die gleiche Handlung hätte möglicherweise in einem Film besser funktioniert, weil wir die verschiedenen Perspektiven der Protagonisten zwar ebenfalls einnehmen können, wir ihre Handlungen aber nicht gezwungenermaßen ausführen müssen.

Und letztendlich ist eine der letzten Szenen des Spiels symptomatisch dafür: Ellie verschont Abby. Aus Sicht des Spielers nachvollziehbar, da wir ja auch Abby kennengelernt haben. Aus der Perspektive von Ellie allerdings ist ihre Entscheidung sogar unlogisch: Sie kennt Abby kaum und kann deswegen eigentlich nur ein ziemlich beschränktes Verständnis für ihre Gegenspielerin haben. Und trotzdem verschont sie sie. Auch Elden Ring schlug letztes Jahr wie eine Bombe ein. Warum ich mit dem FromSoftware-Titel trotzdem so meine Probleme hatte, erfahrt ihr hier.

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Fazit

Man sieht also: Ein Perspektivwechsel der Heldenfiguren führt in Videospielen nicht immer zum gewünschten Effekt. Oft ist sogar eher das Gegenteil der Fall. Wenn einem das Videospiel dann auch noch unmögliche Entscheidungen aufzwingt, muss man sich die Frage stellen, ob Ellies und Abbys Abenteuer nicht als Film besser funktioniert hätte.

Herausfinden können wir das ja spätestens am 15. Januar, wenn auf HBO und hierzulande bei Sky bzw. WOW die erste Staffel von The Last of Us als Live-Action-Serie anläuft. Die soll zunächst mal die Geschichte von Joel und Ellie aus dem ersten Teil der Videospielreihe erzählen. Aber in Zukunft dürften uns bestimmt noch einige weitere Staffeln erwarten.

Und ich will hier nochmal betonen: Der zweite Teil des storybasierten Actionspiels hat mir sehr viel Spaß gemacht. Einzig mit der Geschichte und den Charakteren habe ich so meine Probleme. Und die sind ja ziemlich zentral im Spiel. Was sagt ihr zu The Last of Us 2? Ein Meisterwerk oder doch nur verschenktes Potenzial? Schreibt das gerne mal in die Kommentare!

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Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

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AnnaB
AnnaB
20. März 2023 22:00

Noice

HahaHans
HahaHans
8. Februar 2023 11:29

Hab grad die Serie gesehen. Und jetzt vor, mir beide Spiele zu Gemüte zu führen! Deswegen kann ich zu dem Artikel allgemein noch nichts schreiben, weil ich nicht gespoilert werden will. Aber will dich einfach mal loben, dass du zum einen so gute Filmkritken schriebst, und zum anderen auch echt interessante Themen aus dem Bereich Videospiele abdeckst! Gute Arbeit!

LulySt
LulySt
11. Januar 2023 13:58

Wirklich interessanter Artikel! Was mir aber etwas gefehlt hat, war die Perspektive von Abby. Gerade durch sie wird das Spiel ja erst zu dem Meisterwerk, als das du es riuchtigerweise bezeichnest. Natürlich analysierst du das Spiel zunächst aus der Sicht von Ellie, allerdings bietet sich Abby als zentraler Gegenpol sehr gut im Anschluss an. Dein Fazit hat mir gut gefallen, vielleicht wäre ja ein zweiter Artikel, der Abby bearbeitet, irgenwann denkbar!