Nach The Witch (2015) und The Lighthouse (2019) versucht sich Genreregisseur Robert Eggers mit The Northman an einem weiteren Film, der viel Wert auf historische Authentizität und Atmosphäre setzt. Doch mit seinem neusten Streich übernimmt sich der 38-Jährige Ausnahme-Filmemacher.
Lesezeit: ca. 7 Minuten
Um was geht’s?
The Northman spielt im Jahr 895. Der junge Wikingersohn Amleth (Alexander Skarsgard) ist genau in dem Alter, in dem ein Junge zum Mann wird. Als sein Vater, König Aurvandil (Ethan Hawke) schwer verwundet aus der Schlacht zurück auf sein Inselreich Hrafnsey im Nordatlantik kehrt, will er Amleth zum neuen König machen, um sich friedlich in das Reich der Toten zu verabschieden. Doch der Bruder des Königs, Fjölnir (Claes Bang) hat andere Pläne und tötet Aurvandil kurzerhand, um selbst den Thron zu besteigen.
Amleth kann zwar fliehen, doch seine Mutter Gudrun (Nicole Kidman) wird von Fjölnir entführt. Der junge Prinz schwört, eines Tages seinen Vater zu rächen, seine Mutter zu retten und den falschen König zu töten. Zwanzig Jahre später ist aus Amleth ein Berserker eines Mannes geworden, der auf Rache aus ist.
Filmkritik zu The Northman
„Ich werde meinen Vater rächen, meine Mutter befreien und Fjölnir töten!“. Als Amleth den Tod seines Vaters mit ansieht, als er seine Mutter nach zwei Jahrzehnten wiedersieht und als er dem Brudermörder Fjölnir gegenübersteht. Immer dann wiederholt er diesen Satz. „Ich werde meinen Vater rächen, meine Mutter befreien und Fjölnir töten!“. Wie ein Mantra schreit er dieses Versprechen in die Welt hinaus. Und wie ein Mantra hallt es zu ihm zurück.
Denn je öfter er diesen Satz aufsagt, je fester er an dieses Versprechen glaubt und je häufiger er von der großen Rache träumt, umso unerfüllbarer wird sein Versprechen. Amleth mag ein Biest eines Mannes sein, doch ist er immer noch ein Mann. Und ein Mann allein kann sich nicht gegen die ganze Welt um ihn herum behaupten. Oder doch? The Northman erzählt die Geschichte eben dieses Mannes.
Und dekonstruiert das Versprechen, dass Amleth sich selbst gegeben hat, im Laufe von 137 Minuten allmählich, bis nichts mehr übrig ist von dem Mann, der dieses Versprechen einst gegeben hat. Der neue Film von Robert Eggers erzählt keine Heldengeschichte, wie es manch einer der überbordenden Trailer vermuten ließ. Vielmehr handelt The Nortman vom verzweifelten Kampf eines Mannes gegen den Rest der Welt.
Hamlet für Arme?
Schaut man sich das gesamte Bild, dass der Streifen nach und nach erzeugt, mal genauer an, so fällt doch recht schnell eine Sache auf: Eine revolutionäre Geschichte erzählt The Northman nicht. Eher das Gegenteil ist der Fall. Robert Eggers tischt dem Zuschauer hier eine simple, weil schon Dutzende Male erzählte Rachegeschichte auf. Wenig Neues gemischt mit vielen Klischees macht zumindest die Geschichte, die Motivation des Hauptcharakters und somit eigentlich auch den ganzen Plot vergessenswert und wenig überraschend.
Und auch die später aufgeworfenen Lehren aus dieser Rachegeschichte sind nichts neues. Ich will natürlich nichts verraten, weil diese Kritik spoilerfrei bleiben soll, aber eine ähnliche, wenn auch ganz anders erzählte Rachegeschichte hat vor zwei Jahren auch schon The Last of Us Part 2 geliefert. Auch da war die Geschichte nicht revolutionär, aber so anders erzählt, dass sie funktioniert hat.
Und, nun ja, was soll man sagen: Im Prinzip rechnet sich The Northman mit simpelstem Rache-Einmaleins eine Story zusammen, die so banal ist wie ihre Inszenierung. Alexander Skarsgard (Godzilla vs. Kong, Melancholia) brüllt in jeder zweiten Szene in die Kamera und spielt den muskelbepackten Bullen, der es auf seinem Rachefeldzug gefühlt mit einer halben Armee aufnehmen kann. Seine Motivation wird, wie in fast jedem Assassins Creed-Spiel, herangezogen, um den durchschaubaren Plot ins Rollen zu bringen.
Dann ist da noch Anja-Taylor-Joy (The Witch, Last Night in Soho), die gelegentlich durchs Bild hüpft und über die wir als Zuschauer eigentlich gar nichts erfahren. Sie wird als emotionaler Ankerpunkt für den rachsüchtigen Antihelden benutzt, funktioniert dabei aber nur bedingt, weil wir einfach zu wenig über sie wissen. Das macht die von ihr gespielte Olga leider sehr austauschbar. Wie eigentlich den gesamten, eindimensionalen Plot, der auch vom vermeintlichen Bösewicht Fjölnir, dem Brudermörder, nicht großartig bereichert wird. Ein, zwei kleine und erwartbare Twists rütteln am eindimensionalen Narrativ, dass The Nortman über eine zu lange Laufzeit aufbaut, auch nicht mehr.
Keine Methapern, nur echte Kerle!
Gerade am Ende, als vom Aufeinandertreffen vor den Toren der Hölle geredet wird, dachte ich eigentlich, dass das metaphorisch gemeint sein müsste. Aber nein, Robert Eggers inszeniert auch hier noch ein vor Klischees triefendes Finale, dass überhaupt nicht gelungen ist.
Nun könnte man den Eindruck bekommen, ich würde The Northman abgrundtief hassen. Aber nein, eigentlich mag ich den Steifen sogar sehr. All die Kritikpunkte, die ich jetzt angebracht habe, sind zwar da. Sie ruinieren mir den Film aber nicht. Und das hat mehrere Gründe.
Zum einen weiß Robert Eggers spätestens seit The Witch, wie er seine Zuschauer in die Welt, die er aufbaut, entführen kann. Denn auch sein neuer Film trieft nur so vor historischer Authentizität und größtmöglicher Atmosphäre. Ich erinnere mich nur an wenige Kinobesuche, in denen ich so tief in den Kinositz gefesselt war wie hier. Nicht nur die stimmungsvolle Musik und der brachiale Soundtrack tragen zu einer Stimmung bei, die mich bis ins Jahr 895 zurückversetzt.
Wunderschön und grausam
Auch die Bilder, die die Kamera erzeugt, lassen keine Wünsche offen. Seien es die weiten Landschaften Islands, die dreckigen Häuser eines Wikingerdorfs oder die tobenden Stürme auf hoher See. Robert Eggers weiß, wie er Stimmung erzeugt, wie er den Zuschauer in seinen Bann ziehen kann. Selten war ich so baff von dem, was ich auf der Kinoleinwand gesehen habe. Und gerade dieser Mix aus Sound und Kameraarbeit macht den Film besonders.
Eggers betont immer wieder, dass er mit Filmen als Medium eigentlich gar nicht so viel anfangen kann. Er benutzt sie viel mehr als Mittel zum Zweck, um seine Liebe für die Geschichte unserer Welt auszuleben. Das hat er bei The Witch im New England des 16. Jahrhunderts gemacht. Das hat er, übrigens mit richtig alten, weil authentischen Kameraobjektiven, bei The Lighthouse gemacht. Und das macht er jetzt auch wieder bei The Nortman. Er will uns die nordische Geschichte, nicht nur die Geschichte der Wikinger, näherbringen. Er will in den Alltag von Berserkern auf Plündererraubzug, aber auch in den von Bauern im tiefen Island eintauchen.
Die Rachegeschichte, die er dabei erzählt, ist nur das Konstrukt, an welchem er sich bedient und das er eben gebraucht hat, um so ein stolzes Budget von fast 90 Millionen Dollar zu bekommen für einen Historienfilm. Irgendwie ist das ja auch eine Faszination für sich: Wie ein Geschichtsliebhaber durch das Vehikel des Films seine Liebe zur authentischen und atmosphärischen Inszenierung der Geschichte im Kino erlebbar macht. Er hätte ja auch ein Buch über die Lebensweise der Wikinger schreiben können. Das hat er aber eben bewusst nicht gemacht. Da gab’s doch mal ein Sprichwort: Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Ziemlich passend für The Northman.
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Und noch ein Punkt macht diesen Streifen für mich besonders: Er traut sich in seiner Inszenierung und seiner ganzen Art Dinge, die man aus dem Blockbuster-Kino mittlerweile nicht mehr gewohnt ist. Wo die meisten Marvel-Filme von irgendwelchen Cameo-Auftritten und schlecht gehüteten Pseudo-Geheimnissen einer immer gleichen Inszenierung leben, traut sich The Northman, ein authentisches, atmosphärisches Abenteuer zu erzählen. Wo heute der eine Film vom Hype des anderen lebt, erzählt The Northman keine Franchise-Geschichte, sondern eine originale, wenn auch wenig originelle Geschichte.
Es braucht mehr solcher Filme. Sie sterben aus, weil ein paar wenige Franchises die Kinoleinwand dominieren. Und auch gerade deswegen sind Regisseure wie Robert Eggers und Studios, die sie finanzieren, so wichtig. Der Cast von The Northman überzeugt ja eigentlich auf ganzer Linie. Schauspielerisch kann man nur wenig bemängeln und wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann liegt das meist am Drehbuch. Also, was will ich damit sagen? Ganz einfach: Große Studios sollten sich wieder mehr trauen! Gebt Budget frei für Filme, die nicht wie am Fließband aus der Franchise-Fabrik kommen.
Fazit & Bewertung
The Nortman ist kein perfekter Film. Er ist sogar weit davon entfernt. Robert Eggers erzählt eine vorhersehbare und simple Rachegeschichte mit einem Hauptcharakter, der mehr Bulle als Mensch ist. Einige Figuren kommen viel zu kurz, das Pacing stimmt vor allem zum Ende hin überhaupt nicht mehr.
Und trotzdem entführt uns The Northman in eine faszinierende, atmosphärische und authentische Welt. Selten war ich so sehr in den Kinositz gefesselt wie bei diesem Film. Selten sieht man solche Bildgewalt untermischt von einem herausragenden und passenden Soundtrack. Auch wenn Geschichtslehrer an der ein oder anderen stelle sicherlich etwas zu meckern hätten, schafft es The Nortman sein Setting wundervoll zu transportieren und in den Bann zu ziehen. Sicherlich ist der Streifen dabei nicht für jedermann, wer jedoch schon einmal einen Film von Robert Eggers gesehen hat und zumindest etwas Liebe dafür verspühren konnte, der macht mit diesem Film nichts falsch!
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The Northman läuft seit dem 21.04.2022 in den deutschen Kinos.
© Copyright aller Bilder bei Universal Pictures.
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