Auschwitz-Drama The Zone of Interest in der Kritik: Beobachter des Bösen

Er habe “nie wirklich viele Gedanken darauf verschwendet, ob es Unrecht war”. Es erschien ihm einfach nötig. So kommentierte Rudolf Höß später seine Arbeit im Konzentrationslager Auschwitz im Gespräch mit einem Psychologen. Dort hatte er die Deportation von Hunderttausenden Juden verantwortet. Jetzt ist ein Film über ihn und sein Familienleben direkt neben dem KZ erschienen. In meiner Kritik zu The Zone of Interest versuche ich mich heute einem Film zu nähern, der das Grausame in seiner traurigen Banalität porträtiert und dabei mehr als nur eine Biographie des Bösen darstellt.

Filmkritik zu The Zone of Interest

Er ist für mehrere Oscars nominiert und seine Hauptdarstellerin Sandra Hüller tourt aktuell durch sämtliche Talkshows. Trotzdem wird es The Zone of Interest gerade mit seinem Kinostart in Deutschland, der ausgerechnet auf denselben Tag wie Dune: Part 2 gelegt wurde, schwer haben, ein Publikum zu finden. Und das, obwohl der Streifen eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte auf eine einzigartige, grausame und gleichzeitig so banale Art bebildert. 

The Zone of Interest porträtiert das Leben und Wohnen einer Nazi-Familie und ihrem Oberhaupt Rudolf Höß. Die Familie Höß wohnt in einer großen Villa mit reichlich Annehmlichkeiten direkt neben dem Konzentrationslager Auschwitz. Man feiert Kindergeburtstage entspannt am Pool, lädt seine Kollegen zu einer Gartenparty oder die eigene Mutter zur Besichtigung der renovierten Wohnung ein. 

Dabei wird der Alltag des Konzentrationslagers gerne ausgeblendet, man hält ein funktionierendes Familienleben aufrecht. Möglicherweise, um sich selbst zu schützen, möglicherweise aber auch aus ganz anderen Gründen. Jonathan Glazer schafft es mit seinem beeindruckenden Film, das Leben des Bösen für uns Zuschauer so dröhnend bieder zu beobachten, dass einem im Kino immer wieder schlecht werden kann.

Schüsse, Schreie, Vogelgezwitscher

Am Anfang steht die Dunkelheit: The Zone of Interest beginnt mit einem langen Schwarzbild, einer Leinwand, eingehüllt ins Dunkel. Ein dröhnender Sound bringt die Ohren fast zum Platzen, bevor irgendwann der Filmtitel erscheint. Ganz in weiß, ganz unschuldig, ganz friedlich. Die Buchstaben zerfallen regelrecht und der Sound ist immer noch ohrenbetäubend.

Doch dann das leise Zwitschern der Vögel. Wie aus dem Nichts wird ein Bild einer heilen Welt eingeblendet. Fast schon wie ein Foto aus dem letzten Urlaub stellt uns Jonathan Glazer die Familie Höß vor. Oberhaupt Rudolf, seine Frau Hedwig und die fünf Kinder.

Die audiovisuelle Untermalung des Ganzen macht den Film so besonders. Über fast die gesamte Lauflänge hinweg wird ein dumpfes Rauschen unter die Bilder vom hößschen Familienleben gelegt. Im Hinterkopf sollen wir dabei immer an die Grausamkeiten der Gaskammern und Krematorium im der Villa gegenüberliegenden KZ erinnert werden.

Aber das Rauschen ist kein reines Stilmittel, sondern auch von den Figuren im Film hörbar. Immer wieder gibt es Szenen, in denen vom Dröhnen abgewichen und ein mehr oder weniger besonderer Sound abgespielt wird. Das kann das ungebrochene Bellen von Hunden, das Geschrei der Häftlinge oder die Flammenfeuer der Hochöfen sein.

Zu jeder Zeit schwebt das Grauen der Geschehnisse in Auschwitz über uns Zuschauern und der Familie Höß. Der abgrundtief große Kontrast aus diesem “weißen Rauschen” und der gnadenlosen Tonspur neben der Banalität des Alltags der Familie macht den Film so erschreckend beängstigend. Wie ein Horrorfilm baut sich der Soundtrack auf. Nur dass die Protagonisten die Verursacher dieses Horrors sind.

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Beobachter des Bösen

zone of interest bild stream kinostart

The Zone of Interest ist auch deswegen so eindringlich und zermürbend, weil die Inszenierung es gar nicht anders zulässt: Uns wird das Leben der Familie Höß nicht etwa aus ihrer Perspektive oder der Perspektive ihrer Opfer präsentiert. Vielmehr haben wir es mit einer Abfolge von beobachteten Szenen zu tun.

Mit einer Abfolge von Szenen, die wie von einer Überwachungskamera aufgenommen wirken. Fast schon klinisch neutral inszeniert Jonathan Glazer die Banalität des Bösen. Die Protagonisten gehen ihrem Alltag nach, es wird gekocht, gegessen und gelacht. Es wird sich über Unwichtigkeiten unterhalten und die renovierte Wohnung oder der reichhaltige Garten ganz stolz der Mutter präsentiert.

Kinder spielen im Garten, schwimmen im Schwimmbecken, lachen auf einer Geburtstagsfeier. Es wird sich über die Versetzung des Ehemannes aufgeregt, ein neuer Mantel vorgeführt, die Kinder ins Bett gebracht.

All das geschieht, während wenige Meter entfernt die Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz auf Hochtouren läuft. Die Genialität von The Zone of Interest liegt dabei genau in diesem Kontrast aus Alltagsbanalität und der erdrückenden Gewissheit in uns Zuschauern, dass hinter der Stacheldrathmauer Unaussprechliches geschieht.

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Banalitäten und Buchhaltung

Während Rudolf Höß sich im einen Moment von seinen Offizieren für die “langjährige, gute” Zusammenarbeit bedankt, schäumt er im nächsten Moment am Telefon über seine Versetzung von Auschwitz nach Ravensbrück. Das perfekte Leben der Familie, die “Lebensraumerweiterung” in den Osten sei so in Gefahr.

Immer wieder mischt sich im Film unter die vermeintlichen Banalitäten und den Alltagsplausch eine plötzliche Klarheit über das, was die Familie und ihre Bekannten da wirklich machen. Einmal sitzt Hedwig mit zwei anderen Frauen am Küchentisch und erwähnt beiläufig einen neuen Mantel.

Der sei ihr zu klein, sie müsse erst ein paar Pfund abnehmen. Die vorherige Besitzerin, eine Jüdin, wird beiläufig erwähnt. Diese Beiläufigkeit bemerkt man im Film immer wieder. Und obwohl Jonathan Glazer durch seine Inszenierung uns anders als Filme wie “Schindlers Liste” auf das Böse blicken lässt und man manchmal gar versucht ist, in den Banalitäten der Familie Höß Sympathien zu erhaschen, verlieren wir diese durch bestimmte Momente umso schneller wieder.

Etwa dann, wenn die als kümmernde Mutter und liebende Frau daherkommen Hedwig Höß mit ihren Untergebenen plötzlich ganz anders redet. Sie könne das Leben der Küchenhilfe mit einem Schnips beenden. Alle Bediensteten sind Juden, Zwangsarbeiter, abhängig von der “Barmherzigkeit” und “Güte” des höschen Haushalts.

Dabei ist gerade das Spiel von Sandra Hüller (Toni Erdmann, Anatomie eines Falls) und ihrem Co-Star Christian Friedel so beeindruckend. Durch den Kontrast aus liebender Mutter und eiskalter Hausherrin. Durch den Kontrast aus einem Vater, der Gutenachtgeschichten vorliest und gleichzeitig jeden Tag die Vernichtung Tausender Menschen befiehlt. 

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Maschinen, Nazis und das Kapital

the zone of interest sandra hueller

Was im Film nur nebenbei erwähnt wird, aber eigentlich doch so wichtig war: Die Vernichtung der Juden geschah nicht nur unter den Augen des Kapitals. Nein, das Kapital profitierte auch direkt von den Konzentrationslagern der Nazis. Im Film wird das durch die beiläufige Erwähnung von Siemens sichtbar, einem Unternehmen, dass direkt vom Zwangsarbeitersystem profitiert hat.

Die Geschichte vieler großer deutscher Unternehmen fängt ja meist erst nach dem 2. Weltkrieg an, obwohl gerade die Zeit zwischen 1939 und 1945 viel interessanter wäre. Viele dieser Konzerne haben direkt oder indirekt von den Systemen, wie sie Rudolf Höß aufgebaut und verantwortet hat, profitiert.

Nicht selten erinnert auch die grausame Kälte, mit der die Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz im Film behandelt wird, an die Fabriken dieser Unternehmen. Die effizienten Krematorien und Gaskammern, die ein Ingenieur am Anfang des Films vorstellt, seien dazu in der Lage, den Betrieb “rund um die Uhr” aufrechtzuerhalten. 

Und so wird einmal mehr deutlich: Der Faschismus und der Holocaust wurden nicht nur durch grausame Politiker, durch gesteuerte Massen, durch irgendwelche Wirtschaftskrisen ermöglicht. Erst durch die Klasse der Kapitalisten konnte sich das Nazi-Regime etablieren und durchsetzen. Erst durch Großunternehmer und Industrielle, die unterstützten oder profitierten, war ein solches System wie Auschwitz denkbar.

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Fazit & Bewertung

Eine Sache, die uns der Film lehrt, ist die Banalität des Bösen. Mit welcher Alltäglichkeit sich das Böse bewegt, mit welcher Gleichgültigkeit, mit welcher Selbstverständlichkeit. Gleichzeitig will der neue Film von Jonathan Glazer aber auch ein Mahnmal gegen das Wegschauen sein.

Auch aktuell gibt es wieder eine “Zone of Interest”, wie der Film das Lager und die angrenzenden Lebensrealitäten in Ausschwitz nennt. Es gibt wieder einen Bereich, auf den es sich lohnt, genauer zu blicken. Was aktuell in Gaza passiert, vor den Augen der Weltgemeinschaft, ist eine solche “Zone of Interest”. Hunderttausende Menschen sind im Gazastreifen eingesperrt, werden getrieben in Städte wie Rafa und dann bombardiert. Es findet ein Genozid vor den Augen der Weltgemeinschaft statt.

Die “Zone of Interest” liegt also aktuell im Nahen Osten. Oder in der Ukraine. Überall dort, wo Unrecht geschieht. Der Oscar-nominierte Film ist hochaktuell und gleichzeitig geschichtsträchtig. Ein Film gegen das Vergessen und gegen das Wegschauen. Aber auch ein Film, der aufzeigt, mit welcher Banalität das Böse operiert. Die fantastischen Schauspieler und die durchweg verstörende audiovisuelle Gestaltung in Kombination mit der Kameraästhetik machen The Zone of Interest zum Meisterwerk.


The Zone of Interest ist hochaktuell und gleichzeitig geschichtsträchtig. Ein Film gegen das Vergessen und gegen das Wegschauen. Aber auch ein Film, der aufzeigt, mit welcher Banalität das Böse operiert. Die fantastischen Schauspieler und die durchweg verstörende audiovisuelle Gestaltung in Kombination mit der Kameraästhetik und Inszenierung machen ihn zum Meisterwerk.

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Bewertung:

5


The Zone of Interest startet am 29.02.2024 in den deutschen Kinos.

© Copyright aller Bilder bei A24.

Lukas Egner

Ich bin der Gründer von filmfreitag und schaue leidenschaftlich gerne Filme und Serien aus jedem Genre. Ich bin 21 Jahre alt, studiere momentan Politik- und Medienwissenschaften und schreibe als freier Autor für verschiedene Film- und Videospielmagazine.

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